Wallentin, Jan
Futteral die finnischen Präzisionsinstrumente. Er
packte einen Tiefenmesser aus, der anzeigen sollte, wie weit er unter die
Wasseroberfläche des überschwemmten Schachts sank, und einen Neigungsmesser, um
das Gefälle der Grubengänge zu ermitteln, wenn er dort angelangt wäre.
Die
Fliegen vermehrten sich; inzwischen surrten sie in einer dunklen Wolke um ihn
herum. Erik verscheuchte die Insekten irritiert von seinem Mund, während er
aus der nächsten Tasche die Regulatoren und die langen Schläuche nahm, die ihn
am Leben halten sollten, befestigte sie probehalber und kontrollierte den Druck
in den Flaschen. Dann bewegte er sich ein Stück nach hinten, doch die
Fliegenwolke folgte ihm auf Schritt und Tritt.
Auf dem
Waldboden stehend zog er erst seine grünen Gummistiefel und dann die
Camouflagehosen und die Windjacke aus. Mit lauter kleinem Getier im Gesicht und
am Hals öffnete er die letzte Tasche. Unter dem Tauchcomputer und der
Stirnlampe warteten die einteilige weiche Kälteschutzkleidung und die gummiartige
Haut des Trockenanzugs. Schwarz glänzendes Laminat in drei Schichten, speziell
entwickelt für Tauchgänge in vier Grad kaltem Wasser.
Nachdem er
den unteren Teil des Anzugs übergezogen hatte, beugte er sich vor und streifte
die mit Gummi verstärkten Tauchschuhe über die Fersen. Mit einer Grimasse
richtete er sich wieder auf und schob erst die linke, dann die rechte Hand
durch die Latexmanschetten. Er zog den Anzug vollständig an und schließlich
die Neoprenhaube über den Kopf. Jetzt konnten die Fliegen nur noch an seine
Augen und den oberen Teil seiner Wangen gelangen.
Er nahm
den Sack zur Hand, der die Schwimmflossen und die Tauchmaske beinhaltete. An
der Öffnung des Schachts brachte ihn der ekelhafte Gestank nach verfaulten
Eiern beinahe dazu, es sich anders zu überlegen, doch dann hakte er den Sack an
einem Nylonseil ein und begann ihn herunterzulassen. Gute vierzig, fünfzig
Meter - so weit konnte er die holprige Fahrt mit dem Blick verfolgen -, doch
die Leine lief immer weiter hinab. Erst nach mehreren Minuten erreichte sie die
Oberfläche des Wassers, das den unteren Teil des Grubenlochs füllte.
Er
sicherte das Seilende mit ein paar Windungen um einen Steinblock und machte
sich dann auf den Weg, um den Packen mit Kletterausrüstung und Haken zu holen.
Wieder zurück am Schacht, kniete er sich auf den Boden. Ein schrilles Aufheulen
des Schlagbohrers durchbrach schließlich die Stille, und bald konnte er die
erste Schraube anbringen. Zog sie an - sie würde halten. Dann heulte der Bohrer
erneut auf, um Sicherung Nummer zwei in Angriff zu nehmen.
Als er
fertig war, hob er das Fünfzigkilopaket mit den Sauerstoffflaschen, der
Tarierweste und den Schläuchen an. Nach all den Trainingseinheiten zu Hause
waren seine Beine muskulös, doch unter der Last der Stahlzylinder gerieten sie
leicht ins Schwanken. Schließlich zurrte er die Gurte seines Klettergeschirrs
vor dem Brustkorb fest und testete das automatisch einrastende Bremsgerät, das
die Geschwindigkeit beim Abseilen in den Schacht regulieren sollte. Dann hievte
sich Erik Hall über die Kante, und die Bremse gab ein zischendes Geräusch von
sich, als er hinabsank.
Wenn man
im Internet danach suchte, konnte man verschwommene Bilder der Urban
explorers in Los Angeles finden, die sich ohne Karte Kilometer für
Kilometer durch klaustrophobische Abwassersysteme hindurchzwängten. Man konnte
auch Texte von Italienern finden, die ihre Zeit damit verbrachten, in antiken
Katakomben zwischen Ratten und Müll herumzukriechen, und Russen, die von
Expeditionen zu längst vergessenen Gefängnissen aus der Sowjetära in Hunderten
von Metern unter der Erdoberfläche berichteten. Aus Schweden kamen
Filmsequenzen, die verfallene Bergwerksschächte zeigten, in denen Taucher in
tiefschwarzem Wasser schwammen. Sie bewegten sich geduckt in Tunneln vorwärts,
die endlos lang zu sein schienen.
Eine
Gruppe nannte sich Baggbodykare und tauchte außerhalb von Borlänge. Dann waren
da noch Gruf in Gävle, Wärmland Underground in Karlstad und diverse Vereinigungen
in Bergslagen und Umeä. Und außer ihnen gab es noch solche wie Erik Hall, die
auf eigene Faust tauchten und auch am liebsten für sich bleiben wollten. Das
war nicht gerade empfehlenswert, aber es geschah dennoch.
Da sie im
Hinblick auf Ausrüstung und Gangsysteme, deren nähere Inspektion lohnte,
untereinander Tipps austauschten, kannten alle Grubentaucher des Landes
einander. Jahrein, jahraus
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