Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
und Eindrücke werden sie durch Blicke austauschen, die Mikrofone haben sie nicht ausgeschaltet: Ab und zu ist über der Tonspur des Films ein Husten, ein Flüstern und Räuspern in Wallners Kopfhörern zu hören.
Jetzt kommt gleich der Fragenteil. Der Fragenteil ist entscheidend.
Wallner und Wiget besprachen die letzten Tage, welche Fragen wahrscheinlich gestellt werden würden. Sie machten zwei Probepräsentationen. Einmal übernahm Wallner die Rolle der Vertreter und stellte Wiget Fragen, einmal umgekehrt.
Auf dem Bildschirm sind die Vertreter zurückgelehnt am Konferenztisch mit verschränkten Armen in ihren Sesseln erschienen. Herr Busmann, links am Tisch, der Vorsitzende des Bauernverbands, hat das Mikrofon seines Headsets zur Seite gedreht, sich zu Herrn Soundso, Wallner hat gerade seinen Namen nicht präsent, neben ihm gebeugt und mit ihm etwas besprochen.
30
Das Telefon klingelt, einmal, zweimal. Wallner schaut auf das Display, eine Nummer, die er nicht kennt. Warum hat Frau Beck die einfach so durchgestellt?
„Wallner“, meldet er sich.
Aus dem Hörer ist Rauschen gekommen, dann, weit entfernt, „Allô?“
Eine Männerstimme.
„Hallo?“ sagt Wallner.
„Allô?“ die Männerstimme.
„Wer spricht bitte?“ fragt Wallner.
„Wer spricht bitte?“ fragt die Männerstimme.
Wallner legt erschrocken auf. Zu spät erkennt er, daß er gerade einen Fehler begangen und sich selbst um die Möglichkeit gebracht hat, herauszufinden, wer ihn da ärgern oder aber sogar, falls das noch einmal vorkommt, terrorisieren will. Die Nummer auf dem Display ist erloschen.
31
Die Soldaten, die aus dem Kessel in Stalingrad geflohen sind, sitzen auf der überdachten Ladefläche eines LKWs. Draußen tobt ein Schneesturm.
Der Schauspieler mit den abstehenden Ohren (erregt): „Entweder wir machen das jetzt so, oder ich steige aus und gehe von hier nach Deutschland – zu Fuß!“
32
10. Oktober
Großer Arber. Mit Uli. Schon Schnee. Schön.
33
Wallner geht durch das dunkle Schlafzimmer. Er muß aufstoßen und kann die Hühnchenstücke mit der scharfen chinesischen Sauce riechen, die er zum Abendessen gegessen hatte. Obwohl er das Bett, die Kante, jetzt nicht sehen kann, weiß er, wo sie sich befinden muß und weicht ihr auf dem Weg zum Fenster aus. Wallner läßt den Rolladen herunter.
Am Wochenende steht Ana hier manchmal, winkt ihn zu sich und deutet, flüsternd, als ob die Tiere sie hören könnten, auf Hasen oder Rehe auf den Feldern am Fuß des Galgenbergs, der, eher Hügel als Berg, mit seinen sanft ansteigenden Wiesen eigentlich ganz friedlich aussieht. Abends ist es im Haus fast vollkommen still. Nur von der Ostmarkstraße, der einzigen Verbindung zu den Autobahnen, kommt hin und wieder ein dumpfes Brummen. Nach einer Krise am Anfang, während der sie Wallner vorgeworfen hatte, ihre Karriere ruiniert zu haben – was mache sie, eine fast zu Ende studierte Veterinärmedizinerin und fertig ausgebildete Kindergärtnerin bitte als Buchhalterin in einer Firma für Landmaschinen? –, während der sie öfter mit Costin im Gepäck für Tage einfach abgehauen war, zu ihren Eltern nach München, während der sie geklagt hatte, hier außer Astrid Wiget keine Freundinnen zu haben, und dabei in einer Mischung aus Gebell und Muhen den Oberpfälzer Dialekt nachgemacht hatte, hat Ana sich eingelebt. Früher begann Ana zu weinen, wenn sie, aus dem Urlaub kommend, von der Autobahn die Ausfahrt Richtung Cham nahmen. Jetzt hört sie Wallner zu, wenn er von den Sachen erzählt, die er am nächsten Tag in der Firma erledigen muß, stellt sachbezogene Fragen, grüßt beim Aussteigen die Nachbarn, die vielleicht gerade die Einfahrt kehren, und trägt die Koffer ins Haus. Ana hat jetzt zwar kein positives, aber ein neutrales Verhältnis zu Cham.
Er hat vor dem Spiegel im Badezimmer Wasser in seine hohle Hand laufen lassen und seine Achseln, seinen Brustkörper und sein Glied besprengt. Während er dann Zähne putzt, ist Ana ins Badezimmer getreten. Sie ist nackt und trägt ein Stirnband, damit ihr die Haare beim Waschen nicht ins Gesicht fallen. Vor etwa fünf Monaten war Ana ebenfalls nackt ins Badezimmer gekommen, und Wallner hatte nach einer Weile gesagt, daß sie ihrer Mutter Elena, früher bildhübsch, jetzt dick, immer ähnlicher werde. Bis vor etwa einem Monat hatte Ana deshalb, wenn sie abends ins Badezimmer kam, bereits ihr Nachthemd an. Anas nackter Körper heißt, daß sie entweder vergessen hat, was Wallner ihr
Weitere Kostenlose Bücher