Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
sagt Wallner, was man in der Halle so erzählt. Ab und zu, vielleicht einmal alle zwei Monate, laden die Wittes Wallner und Ana zum Essen zu sich ein. Frau Witte bäckt ihr eigenes Brot.
Da ist Frau Beck. Sie stöckelt zu ihrem silbernen Ford in der mittleren Reihe auf dem Parkplatz. Frau Beck hat kurz in Richtung Wallner und Ana gelächelt und sich eine Strähne aus der Stirn gestrichen. Wallner hat zurückgelächelt.
Fakt ist, daß Wallner ihr und ihrem Mann damals geholfen hat, eine größere Wohnung zu finden. Fakt ist auch, daß Wallner und Ana als eine Art Revanche bei Frau Becks Hochzeit eingeladen waren, von der ein Foto existiert, das Wallner, Ana und das Brautpaar zeigt und das in der letzten Reihe von Fotos auf der Kommode im Wallnerschen Wohnzimmer steht. Fakt ist weiter, daß Wallner Herrn Beck eine Stelle im Lager beschafft hat, obwohl es bessere Bewerber gegeben hätte. Fakt ist schließlich, daß Wallner der Taufpate von Justin Beck, dem Sohn der Becks, geworden ist.
Wallner und Ana steigen in ihren hellroten Volvo, Ana fährt. Da ist Breitenbacher. Er kommt aus dem Pförtnerhäuschen, klappt die Schranke hoch, als er den Volvo anfahren sieht. Wallner winkt Breitenbacher aus dem Fenster.
Breitenbacher fährt jedes Jahr mit seiner Frau Yvonne oder Petra Breitenbacher, Wallner weiß nicht mehr genau, wie sie heißt, im Sommer nach Spanien, von wo sie Wallner immer eine stark riechende Peperoni-Salami mitbringen.
Wallner fragt Ana, ob sie die 31 wolle. Ana nickt. Er ruft auf dem Handy beim Chinesen an, er bestellt einmal die 30 und einmal die 31. Am Marktplatz vor dem Restaurant ist Ana ausgestiegen und das Essen holen gegangen, Wallner wartet im Auto, er will es nicht riskieren, den Humpfmüller oder Schwaiger zu treffen, die sich, glaubt er, gerade in der Stadtratssitzung im Rathaus gegenüber befinden.
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Ana biegt in das Wohngebiet ein. Als sie von Regensburg nach Cham gezogen waren, war das Wohngebiet im Stadtteil Siechen ein Neubaugebiet, von dem nur ein Schachbrett aus geteerten Straßen um leere Quadrate existierte, hier und da Gruben, Rohbauten, erst zwei fertige Häuser, eines davon ihres. Costin hatte den Ausschlag gegeben, hier und nicht etwa neben dem Gewerbepark und der Firma, in Chammünster, zu bauen. Zwar hatte Costin noch gar nicht existiert; ein Kind war zum Zeitpunkt des Umzugs aber Teil der Planung gewesen, das Neubaugebiet würde eine familienfreundliche Umgebung sein; Wallners und Anas Tochter, Johanna (Wallners Wunsch), oder Sohn, Costin (Anas Wunsch), würde nicht nur sicher in einer Tempo-30-Zone aufwachsen und durch die anderen Kinder des Gebiets, die hier einmal wohnen würden, schnell Gesellschaft haben, sondern sie/er hätte es auch nicht weit zum Kindergarten, zur Grundschule und später zum Gymnasium, sie/er würde aufs Gymnasium gehen.
Nächstes Jahr macht Costin Abitur, das er bestehen wird. Costin wird als zu berücksichtigender Faktor wegfallen. Es wäre möglich, ein Haus neben der Firma in Chammünster zu bauen, vielleicht sogar in derselben Straße, der Pappelallee, in der die Villa der Wigets steht.
Wallner und Ana steigen aus. In den Fenstern der anderen Häuser brennt Licht, Wallner kann die Umrisse von Frauen ausmachen, die vom Abendessenkochen gerade einen kurzen Blick nach draußen werfen, ihn beobachten, von den Rentnern, immer diese Rentner überall, einen sieht Wallner jeden Sonntagnachmittag auf dem mit Topfpflanzen zugestellten Balkon schräg gegenüber, natürlich ideal, um sich ein wenig zu verstecken.
In der Diele öffnet Wallner den Knopf seiner Anzughose und bückt sich, um sie auszuziehen. Aus dem Wohnzimmer sind Stimmen zu hören. Er knöpft sich schnell die Hose wieder zu. Irgendwer hat zu singen angefangen.
Als Wallner durch die angelehnte Wohnzimmertür tritt, hat Costin, in der Mitte des Zimmers, getanzt, dabei gesungen, auf dem Sofa haben ihm zwei Jungen zugeschaut, seine Freunde aus der Schule, der mit den ausgebeulten Hip-Hop-Hosen heißt Markus oder Marco, der andere, der Untersetzte mit dem Mecki, hat diesen Namen, bei dem Wallner zuerst dachte, er sei ursprünglich griechisch oder spanisch, bevor er von Ana erfuhr, daß Quirin eigentlich altbayerisch sei. Aus den Styroporschachteln auf dem Wohnzimmertisch riecht es nach indischem Essen, daneben stapeln sich Comic-Hefte.
Bevor er mit dem Singen und später mit dem Tanzen anfing, hatte Costin exzessiv Comics gesammelt, im Urlaub hatte seine Lektüre ausschließlich aus
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