Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
irre ist, als hätte man ihm mit einem Hammer mit voller Wucht gegen die Kniescheibe geschlagen, der Concierge ist angerannt gekommen, sein Gesichtsausdruck, aus dem alle Heuchel-Höflichkeit gewichen ist und in dem die blanke Angst geschrieben steht.
Costin hat Haß – Wir haben HASSHASSHASS! –: auf seine Schwabbelschenkel, sein unrasiertes Schamhaar, seinen Bauchansatz, auf sein Doppelkinn oben, die Geheimratsecken, es ist ja vorherzusehen, wie er in fünf bis zehn Jahren aussieht, wenn das so weitergeht, wenn er nichts tut, tja, sad but true, wenn er jetzt den beschlagenen Spiegel abwischt, sich die nassen Haare zurückkämmt: ganz der Herr Papa, war das nicht ein Lied der EAV ? Das muß aufhören, diese ständigen Songtitel-Assos.
Costin öffnet die Badezimmertür, Romy steht da, sie steht tatsächlich direkt, fünf Zentimeter entfernt vielleicht, vor ihm, in einem beigen Kord-Hosenanzug, den er ja noch nie an ihr gesehen hat. Sie sagt: „Morgen“ und daß sie schnell mal ins Bad müsse, um sich frisch zu machen, sie habe ja um neun diese Veranstaltung in der Kulturbrauerei. Er hat seinen Mund verzogen, sie fragt ihn, ob er wieder Schmerzen habe, er bejaht es, obwohl es im Moment nicht weh tut, zieht den Knoten an seinem Bademantel enger und hinkt, den Arm um Romys Schulter, in die Küche, läßt sich auf den Stuhl am Eßtisch plumpsen. Romy fragt, ob sie ihm Tabletten holen soll, ob sie ihm was zu essen machen soll, ob er gut geschlafen habe, daß sie aber jetzt wirklich wegmüsse, er legt seinen Kopf an ihre Brust, umarmt sie, sie drückt ihren Mund an seine Stirn und hat einen Laut gemacht, „Ach“ oder „Och, du Ärmster“, er mag diesen Laut, er möchte, daß sie ihn wiederholt.
Bevor sie aus der Küchentür geht, hat sie gesagt, Nero habe mehrmals angerufen, wegen des Termins mit Martin, und Tosca, mit der er, Costin, doch heute eigentlich verabredet war, Romy hatte ihn aber nicht wecken wollen, auf dem AB sei auch noch einiges für ihn.
Er hört die Haustür ins Schloß fallen, im Kühlschrank haben sich hinter der Klarsichtfolie, in die der Schinken eingewickelt ist, Tropfen gebildet. Er schaltet den kleinen Steinzeit-Fernseher auf der Konsole an – ein Erbstück seiner Mutter – und stellt den Ton aus. Eine Eilmeldung auf der Titelseite der BZ berichtet von einem Flugzeugunglück in Australien, bei dem alle Insassen umgekommen sind, 10 Uhr Ortszeit, also am Abend hier. Er merkt, daß er, während er den mit Schinken belegten Toast kaut, grunzt, schon die ganze Zeit, ein Schweinelaut, ihm ist das erst jetzt aufgefallen, macht er das schon ein Leben lang?, du bist so widerlich, genau diesen Satz hat er für einen Moment im Kopf und kaut dann weiter. Im Fernseher ist auf einem blauen Hintergrund die heute -Uhr erschienen, die 19 Uhr anzeigt. Weil er keinen Bock hat, die Fernbedienung zu holen, sich den Schmerz im Knie vorstellt, wenn er jetzt aufsteht, sieht er den stummen Lippenbewegungen dieser blonden Moderatorin zu, die er mal vor zehn Jahren oder so bei einer Gala in echt getroffen hat und die tatsächlich nicht nur so wie im Fernsehen, sondern damals so wie jetzt aussah, und auf die er ein bißchen steht, den Luftaufnahmen mit Wrackteilen in einer steppenartigen Gegend, dem Outback, ein Landkartenausschnitt mit Sydney, von wo aus eine rot gepunktete Linie beginnt, die dann kurz vor Darwin abbricht, eine Flughafenhalle, also jetzt entweder in Sydney oder am Zielort, nein, am Zielort: Da ist eine Frau, die ein Taschentuch vor den Mund drückt, eine andere, die mit einer Tasche ihr Gesicht bedeckt und an der Kamera vorbeieilt.
Als er sich wieder dem Frühstück zuwendet, sieht er durch das Küchenfenster, daß draußen die Straßenlaternen schon an sind, den fetten Nebel. Er steht auf, macht „Boah“, obwohl es nicht so weh getan hat wie erwartet, stellt den Fernseher aus.
Auf dem Weg ins Atelier, wo er den AB abhören wird, hat er schon die Stimme von Nero im Ohr, weiß so ziemlich genau, was der sagen wird, das superschnell gesprochene „HalloCostinhieristNero“ und „EsstelltsichjetztdieFrage“ und „Rufmichdochsobaldwiemöglichzurück.“
49
Er schaltet das Licht im Bad ein und läßt das Wasser in der Dusche warm laufen. Während er sich dann einseift, wäscht, Shampoo in die Haare reibt, haben sich so ein paar Fragen aufgedrängt, er hat ja jetzt ganz vergessen, nachzusehen, ob sie noch geschlafen hat, da neben ihm, oder ob sie schon auf ist, und außerdem, wieder mal, zum
Weitere Kostenlose Bücher