Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
gewesen, es hatte noch einmal ziemlich geschneit, da hatte Costin einen Anruf im Label bekommen, und Wylie war in der Leitung gewesen. Costin hatte zuerst nicht geschnallt, daß der Wylie, der da anrief, der Wylie war, also der PingPongs -Wylie, und er hatte für ein paar Sekunden, wie immer, wenn ihn sein Gedächtnis im Stich läßt, so getan, als kenne er ihn (höflich: „Ja, ach hallo, grüß dich!“), bis er überhaupt realisierte, was hier eigentlich los war.
Ganz früher, also direkt nach dem endgültigen Break-up der PingPongs , hatte Wylie ihn noch in unregelmäßigen Abständen auf dem Handy angerufen und gefragt, was so am Start sei, er hatte diesen Ausdruck gebraucht, „am Start sein“, wie es ihm so gehe, was er so mache. Costin hatte immer das Gefühl gehabt, Wylie, wirklich nicht sein bester Freund während der PingPongs -Zeit, rufe nur an, um ihm, Number One, zu erzählen, wie toll es in seiner neuen Band sei, und, Number Two, um rauszufinden, ob Costin Erfolg habe, die Competition-Schiene eben. Aber dann hatte Wylie auf einmal von seinen Problemen in der neuen Band und auch privat zu labern begonnen, immer wieder gesagt, er hoffe wirklich, es gehe Costin gut, das, was da bei den PingPongs an Zwist gewesen sei, sei ja nicht mehr aktuell, jeder verändere sich. Schließlich hatte Wylie auch dann noch monatelang angerufen, als Costin schon längst nicht mehr seine Anrufe – Wylies Nummer hatte er mit dem Klingelton I’m a Loser, Baby belegt – entgegennahm. Wylie schien das alles damals, also das „Wie geht’s dir“ und so weiter, ernst gemeint zu haben. Costin hatte ihm anscheinend wirklich was bedeutet.
Wylie hatte bei seinem Anruf im Label sofort und ohne große Einleitung nach dem Hallo gesagt, er habe das PingPongs -Archiv wieder mal geordnet – welches PingPongs -Archiv, bitte? –, hier in Recklinghausen, er wohne in Recklinghausen, ja, und da habe er gedacht, weil er wisse ja, daß Costin dieses Label habe, ja, und da habe er also gedacht, er rufe ihn mal an, ob man sich nicht mal, also, so treffen wolle, Uschi und Seema seien auch dabei, die wollen auch, sich treffen also, er habe mit denen telefoniert, was Costin darüber denke, während sich Costin die ganze Zeit über im Büro umgesehen hatte – Schrank, Fenster, Tisch, Schrank, Fenster – und überlegt hatte, daß das hier gerade nicht sein dürfe, daß er das jetzt gerade nicht haben könne, daß ihn das hier total überfordere, diese Stimme aus der Vergangenheit, voll Horrorfilm, das, und wie er das Ganze hier jetzt so schnell wie möglich, ohne dabei als Arschloch rüberzukommen, beenden könne. Costin hatte gesagt, daß sie das unbedingt tun sollten, sich treffen, daß er aber jetzt gerade wegmüsse, ob er Wylie zurückrufen könne, Wylie hatte sich vielmals entschuldigt und hatte sich sofort – fast ehrfürchtig, wie Costin schien – verabschiedet, Costin hatte an Wylies Stimme gemerkt, daß er, Wylie, ziemlich viel Respekt vor ihm, Costin, hatte, ob noch von den PingPongs -Zeiten her oder wegen dem Label, whatever, der Bildschirm am Telefon war schwarz geblieben, Wylie schien kein Bildtelefon zu besitzen, die Nummer war auf dem jetzt wieder grauen Display verschwunden.
Damals hatte Costin, nach langer Zeit wieder, diesen Traum gehabt. An sich nichts Besonderes, alles so wie früher eben: Er mit Wylie, Uschi und Seema auf der Bühne, tanzend, singend, Romy hatte ihn wach gerüttelt, weil er wohl mit den Armen um sich geschlagen hatte, ja, und als er da so dalag, da war er nicht etwa schweißgebadet gewesen und hatte Magenkrämpfe gehabt. Er war richtig glücklich gewesen, jau, da so vorhin auf der Bühne, also im Traum, mit den anderen, das hatte ihm einen richtigen Kick gegeben, und irgendwie hatte er da beschlossen, daß so ein Wiedersehen doch nicht so eine schlechte Idee war. Costin hatte Jo am nächsten Tag gebeten, die Nummer eines gewissen Wylie Anderson in Recklinghausen herauszufinden. Als Wylie abhob, hatte Costin gesagt: „So, grüß dich, jetzt habe ich wieder etwas Luft.“
Für einen Moment war das Wohnzimmer vom Applaus aus der Plasma-Wand gefüllt, Wylie und Uschi vor und Seema neben ihm haben, während sie zum Sofa und dem Sessel gegangen sind, ziemlich geschnauft, etwas gestöhnt. Wylie hat sich nach vorne gebeugt, die Hände auf seine Schenkel gestützt und „Oh, Oh, Oh“ gemacht. Auf der Rückseite seines roten T-Shirts hat sich ein ganz enormer Schweißfleck gebildet.
Wylie trägt eines dieser
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