Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
wiederholten Male – das hat Herr Büttner, der Chemielehrer in Cham immer gesagt, Martin Büttner: wieder mal zum wiederholten Male –, was hat er gestern noch gemacht?, er hatte doch diesen Super-lazy-Tag, wo er gleich ganz im Bett geblieben ist, weil Romy ja noch auf Tour war, schlafen, fernsehen, alle Termine absagen, Handy ausschalten, Comics raussuchen, mal wieder alte Snoopy -Dinger durchblättern, es ist ihm dann ziemlich schnell eingefallen: Super-lazy-Tag war vorgestern, gestern waren diese Studio-Aufnahmen mit Tau, die sich so superlang in die Nacht hingezogen haben: Das war gestern.
Beim Abtrocknen hat er wieder diesen krassen Schmerz im rechten Knie, wenn er diese Bewegung macht, der Schmerz kommt automatisch, er hatte für Momente tatsächlich irgendwie ganz vergessen, daß diese Bewegung den Schmerz auslöst, er versucht, nicht darauf zu achten, und auf seinen Scheißkörper auch nicht, das kaputte Knie . . . Knie, da gab es doch bei den Fraggles diesen Satz, ganz am Anfang, als die Fraggles durch die Gänge ihrer Höhle laufen und dieses Lied singen, „Fick dich doch ins Knie“, „ie“ langgezogen, kann das sein? In einer Kindersendung? Oder hat er seine ganze Kindheit über nicht genau aufgepaßt, was dieser Fraggle da eigentlich singt . . . vor dem beschlagenen Spiegel, in dem er sich selber nur als dunklen Fleck sieht, jetzt, kämmt er sich die Haare zurück, er kann seinen Herzschlag spüren, er ist ein bißchen aufgeregt, fast schon lampenfiebermäßig, obwohl ja auch niemand weiß, was Romy auf ihrer Tour so treibt, es gibt ja diese Geschichten, also, Costin, kein schlechtes Gewissen, bitte. (War das gerade der innere Costin?)
Er öffnet die Badezimmertür. Von dem Licht der Straßenlaternen draußen, das durch das nicht vollkommen heruntergelassene Rollo dringt, ist das Innere des Schlafzimmers in ein fahles Licht getaucht. Er versucht, den Schmerz in seinem rechten Knie zu ignorieren und jetzt möglichst lässig mit dem umgebundenen Handtuch zum Bett zu gehen. Weil sich seine Aufregung noch immer nicht legen will, hat er, als er ins Bett schlüpft und unter der Decke Taus warmen nackten Körper spürt, die Augen geschlossen und zu einem altbewährten Mittel gegriffen . . .
Lucy (in Reiterstellung auf Charlie Brown): „Oh.“
Charlie Brown (Gedankenblase): „Das Scheiß-Knie! Sie sitzt genau drauf. Wann ist das bloß endlich vorbei?“
Charlie Brown: „Ah.“
Lucy: „Oh.“
50
Es ist dieser UHU-Geruch, der von der weißen Farbe an den frisch gestrichenen Wänden kommt, eigentlich nicht unangenehm, nur ungewohnt. Überall ist der noch, in allen Räumen des neuen BIBO -HQs. Überall auch noch Kabel mit abgeklebten Enden, die statt Lampen aus der Decke schauen, die neuen weißen Metallschränke statt der alten aus dunklem Holz, die alten Aktenordner, CDs und Megadiscs sind schon eingeordnet, der neue Teppich, grün statt grau. Irgendwie weiß Costin, daß, wenn er diesen Geruch einmal später, wo auch immer, zufällig, in der Nase hat, daß er dann an den Umzug des Labels zurückdenken wird und an diese ganze etwas unangenehme Situation momentan, die sich aber hoffentlich bis dahin gelegt haben wird, das legt sich immer alles, das ist immer so.
Ihm ist das ja in letzter Zeit öfter aufgefallen, daß das wirklich so ist, daß so Kleinigkeiten, ein Geruch, ein Lied oder Gegenstand, plötzlich eine Erinnerung in einem auslösen, er fand das früher ziemlich lächerlich, voll Klischee, so Zeilen wie „I smell the fields, and I think of childhood“, aber man kommt dem eben nicht aus, das kommt einfach so, daß man zum Beispiel was sieht, und schon ist man für ein paar Sekunden weg.
Das heißt also, wenn er und Romy mal umziehen, in zwei, drei Jahren vielleicht, dann wird er in seiner neuen Wohnung stehen, UHU schnüffeln und plötzlich an das hier denken und wie sich alles in Wohlgefallen aufgelöst hat, BIBO die kleine Krise überwunden hat und wieder auf der Erfolgsspur ist.
Jennifer steckt den Kopf durch den Türspalt in sein neues Büro und sagt: „Schaust du dann mal wegen dem Keller?“ Tja, Jennifer: Jetzt noch für Costin – natürlich sagt er das nicht laut – eine Zicke, wird dann, wenn besagte Erinnerung dank UHU stattfinden wird, eine nette Kollegin sein, vielleicht auch eine Freundin. Er hinkt ihr durch die Büroräume ins Treppenhaus hinterher, hält sich, als sie jetzt in den Keller steigen, bei jedem Schritt am Geländer fest, das noch in Plastik eingeschlagen
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