Walter Ulbricht (German Edition)
Überarbeitung und Endfassung des Textes konnte ich manche Anregung Ulbrichts durchaus verwenden. Jedenfalls fand ich es bemerkenswert, dass sich der Erste Sekretär des ZK mit einem solchen Buch beschäftigte und dazu noch nützliche Vorschläge machte.
Eine weitere Gelegenheit zu einer persönlichen Begegnung ergab sich zu seinem 70. Geburtstag 1963. Da wir am Institut für Gesellschaftswissenschaften wussten, dass Ulbricht sich in letzter Zeit sehr viel mit der Frage beschäftigte, welche Rolle die wissenschaftlich-technische Revolution beim weiteren Aufbau der sozialistischen Gesellschaft spielen müsse und welche Konsequenzen sich daraus sowohl für das theoretische Verständnis des Sozialismus als auch für die praktische Politik in der DDR ergeben, waren wir auf die Idee gekommen, zu diesem Thema eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen, die unter dem Titel »Sozialismus – Wissenschaft – Produktivkraft« einige philosophische, ökonomische, und soziale Probleme dieses großen Komplexes untersuchte. Die drei verantwortlichen Redakteure des Buches – Otto Reinhold, Günter Heyden und ich – besuchten den Jubilar am Geburtstag und überreichten ihm die Arbeit.
Ansonsten beziehen sich meine Erinnerungen an Walter Ulbricht in erster Linie darauf, wie ich seine Tätigkeit als Erster Sekretär des ZK der SED persönlich erlebte, welche Auswirkungen seine in Reden und Veröffentlichungen dargestellten Auffassungen und die entsprechenden Orientierungen, Aufgabenstellungen und Bewertungen des Entwicklungsstandes der DDR auf mein Denken und Handeln hatten. Diese stießen durchaus nicht immer auf kritiklose Zustimmung, und es gab Zeiträume, in denen ich – bei aller Anerkennung seiner Leistungen – in einer Reihe von Fragen heftige Kritik an seiner Bewertung mancher Ereignisse und an Beschlüssen und Entscheidungen für angebracht hielt.
In dem Maße, wie bei mir Erfahrungen und Erkenntnisse wuchsen, begann ich, Auffassungen und Entscheidungen kritisch zu hinterfragen und ihre praktischen Auswirkungen stärker zu beachten, und daraus entstanden mitunter auch erhebliche Konflikte mit Folgen für mich. Wenn ich mich an derartige Situationen und Auseinandersetzungen aus der heutigen Sicht eines 85-Jährigen erinnere, muss ich allerdings zugeben, dass manche meiner im Prinzip berechtigten Kritik insofern einseitig und damit übertrieben war, als sie die seinerzeit vorhandenen objektiven Bedingungen unserer Politik insgesamt, vor allem aber die jeweilige konkrete Situation und die möglichen Handlungsspielräume Walter Ulbrichts in seiner Funktion ungenügend berücksichtigte. Erst später ist mir klar geworden, dass es für eine objektive Beurteilung seiner Haltung und seines Wirkens wichtig ist, nicht nur diese objektiven Bedingungen, sondern auch seinen politischen Werdegang, die bestimmenden Einflüsse und Erfahrungen in seiner langjährigen Tätigkeit und andere subjektive Momente zu beachten.
Walter Ulbricht kam wie die meisten Funktionäre der Kommunistischen Partei aus der Sozialdemokratie, in der er bereits aktiv tätig war. Was es für einen jungen revolutionären Sozialisten bedeutete, dass diese Partei August Bebels im August 1914 alle ihre Prinzipien und Beschlüsse mit fadenscheinigen Begründungen einfach verriet, sich auf die Seite der kaiserlich-imperialistischen Kriegstreiber stellte und deren Eroberungskrieg als angebliche Vaterlandsverteidigung mitmachte, kann man heute kaum noch nachvollziehen.
Und als die Führung der Sozialdemokratie in der revolutionären Krise 1918, in der die Möglichkeit bestanden hätte, die Novemberrevolution zu einer sozialistischen Revolution weiterzuführen, sich dafür entschied, die erlangte politische Macht zu nutzen, um das kapitalistische Gesellschaftssystem zu retten, statt für das über Jahrzehnte verkündete Ziel der sozialistischen Gesellschaft zu kämpfen, war der Verrat dieser Partei an den Idealen des Sozialismus komplett.
Den revolutionären sozialistischen Kräften der Sozialdemokratie blieb nur die Möglichkeit, sich von dieser Partei zu trennen und sich selbständig in der Kommunistischen Partei zu organisieren. Doch können wir uns heute vorstellen, was das für das Verhältnis der Mitglieder und Funktionäre dieser beiden Parteien zueinander bedeutete, die so lange in einer gemeinsamen Partei gearbeitet hatten und sich nun, trotz vieler Gemeinsamkeiten in entscheidenden Fragen, als Gegner betrachten mussten? Wie viel Enttäuschung,
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