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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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Weichenstellungen erforderlich wurden wie etwa 1962/63. Das waren Zeiten, in denen ich mich besonders intensiv darum bemühte, die Politik der Partei und die entsprechenden Beschlüsse der Führung theoretisch zu hinterfragen, sie nicht einfach hinzunehmen, sondern ihre Begründung zu verstehen, zu prüfen, ob sie wirklich mit den Prinzipien und Erkenntnissen des Marxismus und den vorhandenen Erfahrungen in Einklang standen.
    Da Walter Ulbricht als Erster Sekretär des ZK die politische Linie der Partei offiziell vertrat, bedeutete dies, dass ich mich vor allem mit seinen Reden, seinen Veröffentlichungen und Bewertungen befasste und öfter auch kritisch auseinandersetzte, wobei ich mitunter nicht nur in Verständnisschwierigkeiten, sondern auch in Konflikte geriet.
    Im Oktober 1952 hatte in Moskau der XIX. Parteitag der KPdSU getagt, der erste Parteitag nach 1939 und der letzte unter Stalin. Die Führung der SED hatte auf der 2. Parteikonferenz im Juli 1952 beschlossen, in der DDR mit dem Aufbau der Grundlagen des Sozialismus zu beginnen, nachdem durch die vorangegangene ökonomische, soziale und politische Entwicklung die Voraussetzungen entstanden waren, in die Übergangsperiode zum Sozialismus einzutreten.
    Natürlich war klar, dass eine solche Entscheidung nicht ohne Zustimmung der Führung der KPdSU, und das bedeutet auch Stalins, erfolgen konnte, denn die DDR war noch lange kein souveräner Staat, es gab noch die Sowjetische Kontrollkommision und den Hohen Kommissar für Deutschland, Instanzen, welche eine übergeordnete Entscheidungskompetenz besaßen. Wie wir heute aus den entsprechenden Dokumenten wissen, war Stalin längere Zeit an der Entwicklung einer sozialistischen DDR interessiert, denn er hielt noch lange an der Option fest, welche die Alliierten 1945 in Potsdam beschlossen hatten. Danach sollte Deutschland vollständig entmilitarisiert werden und sich dann als einheitlicher friedlicher und demokratischer Staat entwickeln, in dem alle Grundlagen und Überreste des Faschismus beseitigt sind und dessen Mitgliedschaft in Militärbündnissen ausgeschlossen war. Doch diese gemeinsame Festlegung der Alliierten war von Churchill faktisch durch seine antisowjetische Brandrede in Fulton im Februar 1946 aufgekündigt worden, in der er die USA aufforderte, gemeinsam mit den anderen imperialistischen Staaten eine Politik des containments gegen die Sowjetunion und ihren Einfluss in Europa zu beginnen. Er wurde so zum Initiator des Kalten Krieges und plante von Beginn an, die westlichen Besatzungszonen Deutschlands mit ihrem ökonomischen und später auch militärischen Potenzial in diese neue antisowjetische Koalition einzubeziehen.
    Die sowjetische Außenpolitik unter Stalin war seit diesem Zeitpunkt vor allem darauf gerichtet, die in Potsdam beschlossene Friedensordnung durchzusetzen, und dabei stand ihr Sicherheitsinteresse verständlicherweise an erster Stelle. Obwohl der von Churchill inspirierte und vom amerikanischen Präsidenten Truman organisierte Kalte Krieg bereits voll entbrannt war und durch die Einführung einer separaten Währung in den Westzonen und die Gründung eines westdeutschen Separatstaates die Spaltung Deutschlands faktisch vollzogen war, versuchte Stalin bis zuletzt, diesen Prozess aufzuhalten und schlug daher in der Note vom März 1952 sowohl den Westmächten als auch der Regierung der BRD vor, die europäische Friedensordnung in einem formellen Friedensvertrag zu verankern und dabei die Einheit Deutschlands durch gesamtdeutsche freie Wahlen wiederherzustellen.
    Dieser Vorschlag wurde von den Westmächten und ganz besonders heftig von Adenauer abgelehnt, obwohl damit zweifellos die Chance für die Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen Staates auf kapitalistischer Grundlage verbunden war. So war endgültig klar geworden, dass die Westmächte mit dem inzwischen in ihren Kalten Krieg integrierten westdeutschen Staat nicht gewillt waren, die Potsdamer Beschlüsse einzuhalten und zu verwirklichen, dass sie statt der vereinbarten Friedensordnung die Konfrontation des Kalten Krieges mit der Gefahr der Entstehung einer militärischen Auseinandersetzung zur Grundlinie ihrer Politik erklärten.
    Dies hatte erhebliche Konsequenzen nicht nur für die internationalen Beziehungen, sondern auch für die Entwicklung in Deutschland. Nach der Ablehnung der Vorschläge Stalins über den Friedensvertrag stand damit auch die Frage auf der Tagesordnung, wie die weitere Entwicklung der DDR verlaufen

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