Walter Ulbricht (German Edition)
solle, denn ein Schwebezustand zwischen Kapitalismus und Sozialismus, wie er sich in den letzten Jahren herausgebildet hatte, war nicht auf unbegrenzte Zeit möglich. Daher war nun der Punkt erreicht, an dem eine Entscheidung über die weitere ökonomische, soziale und politische Entwicklung der DDR erforderlich wurde.
Die Frage, ob dieser Schritt von der Führung der SED vorgeschlagen wurde oder von der Moskauer Führung ausging, war mir damals nicht klar, und ich weiß es auch heute nicht. Doch vermute ich, dass die Initiative dazu von Walter Ulbricht ausging, der sich in der Führung der SED stets am intensivsten mit allen Aspekten dieser komplexen Problematik beschäftigte.
Seine Ausführungen auf der 2. Parteikonferenz der SED waren m. E. durchaus begründet und überzeugend, und die danach eingeleitete Politik des Übergangs zum Aufbau der Grundlagen des Sozialismus verlief zunächst insgesamt in relativ ruhigen Bahnen, zumal es auch gelungen war, die Unterstützung der entscheidenden Kräfte der anderen Parteien der DDR zu gewinnen.
Eine merkliche Veränderung setzte aber nach dem IXX. Parteitag der KPdSU ein, und diese führte zu erheblichen Verschlechterungen der Lebenslage vieler Schichten der Bevölkerung. Es erfolgte eine starke Konzentration der ökonomischen und finanziellen Ressourcen auf die beschleunigte Entwicklung der Schwerindustrie, was zur Beeinträchtigung der für die Versorgung mit Konsumgütern und Lebensmitteln wichtigen Leichtindustrie und der Landwirtschaft führen musste. Der Versuch, die dadurch entstehenden Engpässe durch restriktive Maßnahmen gegenüber ganzen Bevölkerungsschichten zu überwinden, musste scheitern und führte in der Konsequenz zu einer zunehmenden Unzufriedenheit. Diese bildete wiederum einen günstigen Boden für die von westlichen Geheimdiensten und anderen Organisationen aktiv betriebenen Aktionen, die darauf gerichtet waren, die DDR zu destabilisieren und Bedingungen für einen politischen Umsturz zu schaffen, oder, wie es seitens der Regierung der BRD hieß: die »sowjetische Zone zu befreien«.
In der ersten Hälfte des Jahres 1953 zeichnete sich als Folge dieser negativen Entwicklung immer mehr eine kritische Situation ab. Ich konnte mir die Frage nach den Ursachen der Entscheidungen, die zu derart negativen Konsequenzen führten, damals nicht erklären, und noch weniger die passive Haltung der Führung.
Als dann am 9. Juni 1953 im Neuen Deutschland ein Kommuniqué des Politbüros der SED veröffentlicht wurde, welches in dürren Worten mitteilte, dass die Parteiführung in letzter Zeit schwerwiegende Fehler begangen habe, die nun korrigiert werden, führte das nicht nur zu einer starken Irritation innerhalb der Partei, sondern gab den Organisatoren von Demonstrationen und Unruhen wohl auch das Signal zum Losschlagen. So kam es zu den Ereignissen des 17. Juni 1953, über deren Charakter seither sehr verschiedene Versionen im Umlauf sind – von Volksaufstand bis faschistischer Putsch, was m. E. beides unbegründet ist.
Die Parteiführung war auf die Ereignisse offensichtlich nicht vorbereitet und wurde davon nicht nur überrascht, sondern erwies sich auch weitgehend als handlungsunfähig. Mir war das damals völlig unverständlich, und ich war der Meinung, dass sie in dieser bedrohlichen Situation versagt habe.
Zu einer Diskussion dieser Frage ist es innerhalb der Partei aber niemals gekommen, und welche Auseinandersetzungen in der Führung darüber stattgefunden haben, wurde niemals publik. Daher konnte ich mir auch kein Bild davon machen, welche Haltung Walter Ulbricht in jenen Tagen hatte und welche Rolle er dabei spielte. Die Tatsache, dass auf der nächsten Tagung des ZK der Minister für Staatssicherheit Wilhelm Zaisser und der Chefredakteur des Neuen Deutschland Rudolf Herrnstadt aus dem Politbüro sowie weitere Funktionäre aus dem ZK ausgeschlossen wurden, zeigte allerdings, dass es große Auseinandersetzungen gegeben haben musste. Viele Hintergründe aber blieben unbekannt und kamen erst nach dem Ende der DDR ans Tageslicht, erst da wurden mir bislang unverständliche Vorgänge und auch die damalige Haltung Ulbrichts verständlicher.
Hatten Stalin und die sowjetische Führung schon seit längerem die Befürchtung, dass die imperialistischen Mächte mit den USA an der Spitze einen militärischen Angriff auf die Sowjetunion vorbereiten, so folgerte Stalin wohl nach der Ablehnung seines Vorschlags zum Abschluss eines Friedensvertrages, dass
Weitere Kostenlose Bücher