Walter Ulbricht (German Edition)
ein Angriff bereits in nächster Zeit zu erwarten sei. Deshalb wurde auf dem IXX. Parteitag der KPdSU die gesamte Politik darauf orientiert, sich auf die Verteidigung vorzubereiten. Entsprechende Forderungen wurden auch an die verbündeten Länder der im Entstehen begriffenen sozialistischen Staatengemeinschaft gestellt, die infolgedessen gezwungen waren, vor allem ihre ökonomische Politik diesem Ziel unterzuordnen. Dies führte in der DDR Ende 1952, Anfang 1953 zu großen Schwierigkeiten, was eine innenpolitische Destabilisierung zur Folge hatte.
Hinzu kam: Anfang März 1953 war Stalin verstorben und im Politbüro der KPdSU ein erbitterter Machtkampf zwischen rivalisierenden Gruppen entbrannt. Wie es schien, hatte Berija zunächst die größten Aussichten, die Nachfolge Stalins anzutreten. Abgesehen davon, dass er wohl das größte Vertrauen Stalins besessen hatte, da er seit 1938 der Exekutor aller gesetzwidrigen und verbrecherischen Anordnungen Stalins war, häufig auch deren Initiator, verfügte er als Innenminister auch über eine reale Macht in Gestalt der Truppen des Innenministeriums.
In der ersten Zeit nach Stalins Tod muss Berija wohl zusammen mit Malenkow, der damals Regierungschef war, die entscheidende Rolle im Politbüro gespielt haben, denn es gelang ihm, den Beschluss durchzusetzen, dass der Aufbau des Sozialismus in der DDR sofort zu beenden und Kurs auf eine Politik der Wiedervereinigung zu nehmen sei. Offenbar war er gewillt, die DDR zu opfern, um damit eventuell die Gefahr des militärischen Angriffs seitens der imperialistischen Mächte zu bannen.
Walter Ulbricht, Fred Oelßner und Otto Grotewohl wurden Anfang Juni 1953 nach Moskau beordert und gezwungen, dieser Lösung zuzustimmen und entsprechende Anweisungen sofort telegrafisch an Hermann Axen nach Berlin zu übermitteln, der in Ulbrichts Abwesenheit das Sekretariat des ZK leitete.
Vor dem Hintergrund dieser Vorgänge wird verständlich, in welcher Lage sich damals die Führung der SED befand, weshalb es in ihr keine einheitliche Meinung gab und sie infolgedessen auch weitgehend handlungsunfähig war.
Inzwischen war im Machtkampf innerhalb des Politbüros der KPdSU eine Entscheidung gefallen, welche die Situation wieder veränderte. Berija war entmachtet und verhaftet und Chruschtschow zum Ersten Sekretär des ZK gewählt worden. Der Beschluss über die DDR wurde aufgehoben, und so konnte die auf der 2. Parteikonferenz der SED beschlossene Linie, mit dem Aufbau der Grundlagen des Sozialismus zu beginnen, fortgeführt werden. Auf der danach abgehaltenen Tagung des ZK der SED wurde Generalsekretär Walter Ulbricht zum Ersten Sekretär gewählt. Er begründete in seiner Rede die Politik des »Neuen Kurses«, der eine Korrektur der zuvor offenbar unter sowjetischem Druck erfolgten Maßnahmen vorsah und darüber hinaus zahlreiche konstruktive Schritte, die zur Normalisierung der Lage führten.
Wenn auch die Hintergründe der kritischen Ereignisse nicht öffentlich diskutiert werden konnten – was angesichts der Lage in der sowjetischen Führung ausgeschlossen war –, so zeigten die konstruktiven Vorschläge Walter Ulbrichts, die dann auch auf dem IV. Parteitag im Frühjahr 1954 bestätigt wurden, dass er sich in dieser äußerst schwierigen Situation als der fähigste und stärkste Politiker in der Führung der SED erwies. Auch deshalb, weil er in der Lage war, die erforderlichen Konsequenzen aus den begangenen Fehlern zu ziehen.
Wenn ich damals auch nicht damit zufrieden war, dass die Ursachen der zeitweiligen negativen Entwicklung übergangen wurden, hielt ich den mit dem »Neuen Kurs« eingeschlagenen Weg für richtig, und meine Haltung gegenüber Walter Ulbricht war in erster Linie davon bestimmt – und nicht von der Kritik an der fehlenden Aufklärung. Nach den Kenntnissen, die wir heute über die Vorgänge besitzen, ist mir natürlich klar, weshalb es damals wenig Nutzen gehabt hätte, eine umfangreiche öffentliche Ursachendiskussion zu führen.
Eine weitere kritische Phase in der Entwicklung der DDR entstand im Jahre 1956 nach dem XX. Parteitag der KPdSU. Chruschtschow war es nach der Entmachtung und Verhaftung Berijas – der ganz in der Manier der Stalinschen Terrorprozesse in einem Verfahren als »Agent des Imperialismus« verurteilt und erschossen worden war – gelungen, seine Machtposition zu festigen, auch wenn sie bald wieder durch eine Mehrheit im Politbüro, die von Molotow, Kaganowitsch und Malenkow angeführt wurde,
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