Wanderungen Durch Die Mark Brandenburg: Band 3, Havelland
sie auf die Kirche zu, an deren altem Seitenportal der Küster bereits mit seinem Schlüsselbunde stand und wartete. Er war ein Mann von fünfzig.
»Guten Tag, Jerse, wie geht's?«
»Et jeiht jo, gnädige Herr, man en beten to oll .«
» Man kann nicht immer jung bleiben. Wenn man nur mit Ehren alt geworden ist. Was machen die Kinder?«
»Et jeiht jo, gnädige Herr, man en beten to veel .«
» Ja, Jerse, das ist Eure Schuld.«
Jerse schmunzelte. Der Oberst streichelte dem Jungen das lockige Haar und fuhr dann fort:
»Ich hoffe, daß alles in Ordnung ist. Wann kam der Steinsarg?«
»Gistern wiern't fief Wochen, un de Steinhauer wier glieks mit dabi un hett allens sülvst moakt. Un denn hebben wi de gnäd'ge Fru mitsamst den höltern'n Sarg insett.«
»Das ist recht, Jerse. Und nun schließt auf. Ich will erst sehen, wie es in der Kirche aussieht.«
Sie traten in das Mittelschiff. Nicht weit von der Kanzel war ein Reliefbild in die Wand eingelassen, ein Reiter in der Tracht des Dreißigjährigen Krieges. Der Oberst blieb stehen. Es war das Bildnis seines Vaters. Daneben war ein zweiter Stein, eine seltsame Rokokoarbeit. Minerva, mit drei Marabouts auf dem Haupte, sah einen vierzehnjährigen Knaben auf sich zuschreiten, der ihr, huldigend, einen Apfel überreichte. Alles bunt bemalt. Die bunte Farbe reizte die Neugier des Kindes.
»Was ist das?«
»Das ist eine Göttin. Weißt du, was eine Göttin ist?«
»Nein. Ich will nur wissen, wer der Junge mit dem Apfel ist.«
»Das ist dein Oheim. Er war sehr fleißig und ist ganz jung gestorben.«
»Ich will nicht fleißig sein.«
»Nun hört, Jerse, wie der Junge aus aller Art ist.«
»Dat wahrd en richtigen Junker, gnäd'ge Herr. Wat brukt so 'n lütt' Junker veel to liernen! Et givt all so veel davun.«
»Nun, Jerse, wollen wir in die neue Gruft.«
Damit traten alle drei durch die kleine Seitentür wieder auf den Kirchhof hinaus und schritten auf einen Neubau zu, der augenscheinlich erst vor Jahresfrist an die Ostseite der Kirche angebaut worden war, eine sehr einfache Architektur mit zwei Gitterpforten und einer Klapptür in Front. Das Äußere war öde, das Innere noch mehr. In dem frisch geweißten Raume stand ein einziger Steinsarg, ein Marmorsarkophag, kunstvoll und reich gearbeitet, dessen prächtige Schönheit in diesem schmucklosen Raume einen seltsamen Eindruck machte.
Der Oberst nahm seinen Knaben an die Hand und trat an den Sarg heran. Er blickte lange auf denselben. Dann beugte er sich zu dem Kinde nieder und küßte es auf die Stirn.
Das Kind sah sich ängstlich um, drängte sich an den Vater und sagte: »Komm, ich mag hier nicht sein.«
Und nun gingen sie über den Kirchhof wieder auf das Herrenhaus zu. Alles war still, wie ausgestorben. Aber ein Sonnenschein lag auf dem Dach, und Küster Jerse, der zurückgeblieben war, läutete Mittag.
Es sollten noch stillere Tage kommen. Ohne Sonnenschein und ohne Läuten.
Wust 1730
Dreiundzwanzig Jahre waren ins Land gegangen. Vieles hatte sich geändert, und nur Wust und sein Herrenhaus waren unverändert geblieben. Der »Dienst« hielt nach wie vor den Gutsherrn in der Ferne fest, jetzt in der Ostprovinz des jungen Landes, in Königsberg, aber der junge Oberst von damals war inzwischen ein alternder Generallieutenant geworden. Und Geschicke bereiteten sich vor, die innerhalb dreier Monate seine Seele völlig beugen und brechen sollten.
Verweilen wir einen Augenblick bei dem Vorspiele zu dieser Tragödie. Am 5. August hatte, unter Mitwissen und Beihilfe verschiedener Personen, darunter der Lieutenant Hans Hermann von Katte, ein Fluchtversuch des Kronprinzen stattgefunden. Die Nachricht davon lief durchs Land. Zwanzig Tage später war sie in Königsberg, und noch am selben Tage schrieb der Generallieutenant an seinen Bruder, den Kammerpräsidenten von Katte in Magdeburg:
»Mein lieber Bruder!
Mit was Betrübnis ich diese Feder ansetze, ist Gott bekannt. Ihr werdet von Eurem Sohn aus dem Reich leider erfahren haben, wie unsere gottlosen Kinder sich in das größte Labyrinth gesetzet, und hat Euer Sohn solches dem Major von Rochau geschrieben. Dieser hat mir dessen Brief mit der Ordonnance anhero gesandt, da ich eben anitzo hier in Königsberg sein und bleiben muß. Ich hab es als meine Pflicht erachtet, meinen Sohn zu abandonnieren , meinen Eid und meine Schuldigkeit vorzuziehen und Eures Sohnes Schreiben dem Könige mit einer Estafette zu senden. Hat mein Sohn in seinem Dessein nicht
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