Wanderungen Durch Die Mark Brandenburg: Band 3, Havelland
haben würden, verblieben in ihrem Rosen- und Geißblattschmuck, und nichts war geschehen, als – die Verfassung war geändert. Die monarchische Spitze war abgebrochen, errungen war eine freie Schweiz.
Während wir über dies und ähnliches sprachen, hatten wir die letzten Häuser von Neu Geltow erreicht, und müde vom Marschieren, dazu trocken in der Kehle, setzten wir uns auf eine am Ackerrand liegende Walze, um hier aus freier Hand ein etwas verspätetes Vesperbrot einzunehmen. Ich richtete dabei allerhand Fragen an meinen Gefährten, der, wie sich der Leser aus früheren Kapiteln freundlich erinnern wird, diese Territorien zwischen Havel und Schwielow-See wie seine zweite Heimat kannte, und ließ mir, unter immer wachsendem Interesse, von den sozialen Zuständen dieser Kolonie erzählen, von Parteien und Gegensätzen, von Krieg und Frieden, von Réunions und Festlichkeiten und von den delikaten Beziehungen zwischen Wirten und Mietern.
»Diese Beziehungen«, so nahm der Gefährte eingehender das Wort, »sind sehr gut, wie Sie sich denken können; es wird hier studiert, aber es wird doch auch gelebt , und überraschlich ist mir immer nur das eine erschienen, daß, bei aller persönlichen Hinneigung zu der unter ihnen weilenden jungen Rechts- und Regierungswelt, die Hauswirte und Villenbesitzer, die Autochthonen von Neu Geltow, eine entschiedene Vorliebe für höchst unjuristische Aushilfen an den Tag legen. Ob die in den Zimmern ihrer Mieter aufgehäuften Wälzer und Pandektenstöße die Frage in ihnen angeregt haben: ›Wer soll da Recht finden?‹ – gleichviel, es ist eine Tatsache, daß sie eine Art Passion für das aide-toi-même und für ein ›abgekürztes Gerichtsverfahren‹ haben.
Sehen Sie hier drüben das Haus neben dem Eiskeller?« fuhr mein Reisegefährte fort. Ich nickte. »Nun gut; in dem zweiten Hause dahinter, mit den Jalousien und der kleinen Veranda, wohnen zwei Brüder, Kaufleute ihres Zeichens, die sich aus den Geschäften wohl oder übel zurückgezogen haben und als Zimmervermieter und Hoteliers kleineren Stils in der frischen Luft von Neu Geltow das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden trachten. Sie heißen Robertson, erzählen von einem rätselhaften Urgroßvater, der aus Schottland hierher verschlagen wurde, und haben ihre Sofas mit Tartan in den Clanfarben der Robertsons überzogen. Ihre Vornamen sind Wilhelm und Robert, wobei jener, wenn es sich darum handelt, ›to do the honours for all Scotland‹, im Vorteil ist, indem er sich beliebig aus einem Wilhelm in einen William umwandeln kann, während der jüngere durch eine Art Sprachtücke unter allen Umständen ein Robert bleibt. Er hat dafür den Vorzug der Alliteration und eines gewissen Skandinavismus: Robert Robertson.
Sie müssen diese Abschweifung meiner Erzählung verzeihen. Aber die beiden Brüder sind eben die Helden meiner Geschichte, und wenn es auch eine bekannte Sache ist, daß man seine Lieblingsfiguren am besten durch Tatsachen schildert, so werden Sie doch eine kurze Charakterisierung gelten lassen.
Robert, zu der Zeit, wo meine Geschichte spielt, hatte die linke, Wilhelm die rechte Seite des Hauses inne. Sie können deutlich die Giebelfenster des letzteren sehen. Es war an einem frischen Oktobermorgen, die Sonne war noch nicht heraus, als Robert an die Jalousien von seines Bruders Schlafzimmer pochte. Dieser ließ nicht lange auf sich warten und öffnete: ›Wilhelm, sie sind bei dir eingebrochen.‹ Das war ein Donnerwort.
Aber über Wilhelm kam jetzt der alte Geist seiner Heimat; die Schotten sind scharf in Mein-und-dein-Fragen; er sprang in die Kleider, dann in den Hof. Wer ihn gesehen hätte, hätte ausrufen müssen: ›Jeder Zoll ein William.‹ Der Einbruch war rasch konstatiert; der Dieb war mit Hilfe einer Feuerleiter in das oberste Giebelfenster, da, wo Sie jetzt das Licht sehen, eingestiegen, hatte dem nachbarlichen Rauchfang drei Schinken und sieben Würste, einer auf dem Boden stehenden Truhe ein Bettenbündel entführt und war dann auf demselben Wege verschwunden, auf dem er gekommen war. Die Feuerleiter wieder an ihren Platz zu bringen, hatte er nicht für nötig befunden.
Einen Augenblick schien guter Rat teuer, als Robert, ohne eine Ahnung von der Wichtigkeit seiner Bemerkung zu haben, vor sich hin murmelte: ›Und der Kinderwagen ist auch weg.‹
Der ältere Bruder richtete sein Auge nach der Schuppenecke, wo sonst der Wagen zu stehen pflegte; die Stelle war leer; er stieß die linke
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