Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Garde-
848
robestücken von unten her in die Höhe und tränkt es
entweder mit Wasser oder schwemmt es gar hinweg.
Das weckt dann freilich Stimmungen, die der Vorstel-
lung von einer wachsenden »Fraternität« des Men-
schengeschlechts völlig hohnsprechen und zu Unter-
haltungen führen, von denen es das beste ist, daß
sie im Winde verklingen.
Soviel von den Schleppschiffen. Von geringerer Be-
deutung sind die Passagierboote, die übrigens, wie
sich von selbst versteht, gelegentlich die Rolle tau-
schen und auch ihrerseits als »Retter« und »Tyran-
nen« ganz in der oben geschilderten Weise debütie-
ren.
Die Passagierboote gehen von Frankfurt aus zweimal
wöchentlich, Mittwoch und Sonnabend, und machen
die Fahrt nach Küstrin in zwei, nach Schwedt in acht,
nach Stettin in zehn Stunden. Die Benutzung erfolgt
mehr stationsweise und auf kleineren Strecken als
für die ganze Tour. Schon deshalb, weil die Eisen-
bahnverbindung die Reisenden eher und sicherer ans
Ziel führt. Eher unter allen Umständen, und zwar um so mehr, als es bei niedrigem Wasserstande vorkommt, daß die Fahrt auf Stunden unterbrochen o-
der gar wohl ganz eingestellt werden muß. Die Regu-
lierung des Oderbetts, ein in den Zeitungen stehend
gewordener Artikel, würde diesem Übelstande viel-
leicht abhelfen und eine Konkurrenz der Dampfschif-
fe mit der Eisenbahn möglich machen. Damit hat es
aber noch gute Wege; Flußregulierungen sind nicht
unsre starke Seite, und so werden sich die beiden
Passagierboote, die jetzt das Bedürfnis decken, noch
849
längere Zeit mit dem Publikum behelfen müssen, das jetzt zu ihnen hält. Dies Publikum, wenn auch nicht
zahlreich, ist immerhin mannigfach genug. Tagelöh-
ner, die auf die Güter, Handwerker, die zu Markte
ziehen, dazu Kaufleute und Gutsbesitzer, auch gele-
gentlich Badereisende, besonders solche, die in den
schlesischen Bädern waren. Nur eine Klasse fehlt, der man sonst wohl auf den Flußdampfern unserer
Heimat, besonders im Westen und Süden, zu begeg-
nen pflegt: der Tourist vom Fach , der eigentliche Reisende, der keinen andern Zweck verfolgt, als
Land und Leute kennenzulernen.
Dieser »Eigentliche« fehlt noch, aber er wird nicht
immer fehlen; denn ohne das unfruchtbare und miß-
liche Gebiet der Vergleiche betreten zu wollen, so sei
doch das eine hier versichert, daß an den Ufern der
Oder hin allerlei Städte und reiche Dörfer liegen, die
wohl zum Besuche einladen können, und daß, wenn
Sage und Legende auch schweigen, die Geschichte
um so lauter und vernehmbarer an dieser Stelle
spricht.
Sehen wir selbst.
Es ist Sonnabend um fünf Uhr morgens. An dem
breiten Quai der alten Stadt Frankfurt, hohe Häuser
und Kirchen zur Seite – das Ganze mehr oder weni-
ger an den Kölner Quai zwischen der Schiffbrücke
und der Eisenbahnbrücke erinnernd –, liegt der
Dampfer und hustet und prustet. Es ist höchste Zeit.
Kaum daß wir an Bord, so wird auch das Brett schon
eingezogen, und der Dampfer, ohne viel Kommando
850
und Schiffshallo, löst sich leicht vom Ufer ab und
schaufelt stromabwärts. Zur Linken verschwindet die
Stadt im Morgennebel; nach rechts hin, zwischen
Pappeln und Weiden hindurch, blicken wir in jenes
Hügelterrain hinein, dessen Name historischen Klang
hat trotz einem – Kunersdorf. Wir werden noch oft,
während unserer Fahrt, an dieses Terrain und diesen
Namen erinnert werden.
Der Morgen ist frisch; der Wind, ein leiser, aber
scharfer Nordost, kommt uns entgegen, und wir su-
chen den Platz am Schornstein auf, der Wärme ge-
währt und zugleich Deckung gegen den Wind. Es ist
nicht leicht mehr, ein gutes Unterkommen zu finden,
denn bereits vor uns hat ein Gipsfigurenhändler, mit
seinem Brett voll Puppen, an ebendieser Stelle Platz
genommen. Er ist aber umgänglich, rückt sein Brett
beiseite und wartet auf Unterhaltung. Das Puppen-
brett bietet den besten Anknüpfungspunkt. König
und Königin; Amor und Psyche; Goethe, Schiller,
Lessing; drei »betende Knaben« und zwei Windhun-
de, außerdem, alle andern überragend, eine Aurora
und eine Flora bilden die Besatzung des Brettes. Der
Aurora sind ihre beiden Flügel, der Flora das Bouquet
genommen; beides, Bouquet und Flügel, liegen, wie
abgelegter Schmuck, zu Füßen der Figuren.
»Was geht denn so am besten?« eröffne ich die Kon-
versation.
»Ja, das ist schwer zu sagen, mein Herr«, erwidert
der Figurenmann (der sich durch das hierlands
Weitere Kostenlose Bücher