Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Der Gipsfigurenmann verab-
schiedete sich hier, und während das Boot anlegte,
hatt ich Gelegenheit, die »alte Bischofsstadt« zu be-
trachten.
Freilich erinnert hier nichts mehr an die Tage frühe-
ren Glanzes und Ruhmes. Die alte Kathedrale, das
noch ältere Schloß, sie sind hin, und eines Lächelns
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kann man sich nicht erwehren, wenn man in alten
Chroniken liest, daß um den Besitz von Lebus heiße
Schlachten geschlagen wurden, daß hier die slawi-
sche und die germanische Welt, Polenkönige und
thüringische Herzöge, in heißen Kämpfen zusam-
menstießen und daß der Schlachtruf mehr als einmal
lautete: »Lebus oder der Tod«. Unter allen aber, de-
nen dieser Schlachtruf jetzt ein Lächeln abnötigt,
stehen wohl die Lebuser selbst obenan. Ihr Stadtsie-
gel ist ein »Wolf mit einem Lamm im Rachen«; die
neue Zeit ist der Wolf, und Lebus selbst ist das
Lamm. Mitleidslos wird es verschlungen.
Lebus, die Kathedralenstadt, ist hin, aber Lebus, das
vor dreihundert Jahren einen fleißigen Weinbau trieb, das Lebus existiert noch. Wenigstens landschaftlich.
Nicht daß es noch Wein an seinen Berglehnen zöge,
nur eben der malerische Charakter eines Winzer-
städtchens ist ihm erhalten geblieben.
Die Stadt, so klein sie ist, zerfällt in eine Ober- und Unterstadt. Jene streckt sich, so scheint es, am First
des Berges hin, diese zieht sich am Ufer entlang und
folgt den Windungen von Fluß und Hügel. Zwischen
beiden, am Abhang, und, wie es heißt, an selber
Stelle, wo einst die alte Kathedrale stand, erhebt sich jetzt die Lebuser Kirche, ein Bau aus neuer Zeit. Die
»Unterstadt« hat Höfe und Treppen, die an das Was-
ser führen; die »Oberstadt« hat Zickzackwege und
Schluchtenstraßen, die den Abhang bis an die Unter-
stadt hemiedersteigen. Auf diesen Wegen und Stra-
ßen bewegt sich ein Teil des städtischen Lebens und
Verkehrs. Gänse und Ziegen weiden dort unter Gras
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und Gestrüpp; Frauengestalten, zum Teil in die ma-
lerische Tracht des Oderbruchs gekleidet, schreiten
bergab; den Zickzackweg hinauf aber steigt eben
unser Freund, der Gipsfigurenmann, und seine »Au-
rora« schimmert im Morgenstrahl.
Nun aber Kommandowort vom Radkasten aus, und
unser Dampfer schaufelt weiter.
Lebus liegt zurück, und wir treten jetzt, auf etwa
eine Meile hin, in jenes Terrain ein, wo Stadt und
Dorf, zu beiden Seiten des Flusses, an die Tage
mahnen, die jenem Kunersdorfer 12. August voraus-
gingen und ihm folgten . Es sind drei Namen vorzugsweise, denen wir hier begegnen: Reitwein, Gö-
ritz und Ötscher, alle drei mit der Geschichte jener
Tage verwoben.
In Reitwein erschien am 10. August die Avantgarde
des Königs, um eine Schiffbrücke vom linken aufs
rechte Oderufer zu schlagen. Man wählte dazu die
Schmälung des Flusses, wo die alte Stadt Göritz,
malerisch am Hügelabhang, dem Dorfe Reitwein ge-
genüberliegt. Am 10. abends erschien der König
selbst und führte seine Bataillone (sechzig an der
Zahl) ans andre Ufer; die Kavallerie ging durch eine
Furt. In Göritz aber blieb General Flemming mit sie-
ben Bataillons zur Deckung der Schiffbrücke zurück.
Zwei Tage später, am Abend des 12., befanden sich
die Trümmer der geschlagenen Armee an derselben
Furt, an derselben Schiffbrücke. Aber das Spiel war
vertauscht; statt von links nach rechts, ging es jetzt
von rechts nach links. Die Brücke, die am Abend
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des 10. von Reitwein nach Göritz vorwärts geführt hatte, führte jetzt, am Abend des 12., von Göritz
nach Reitwein zurück .
Der König verbrachte die Nacht, eine Viertelmeile
südlich von der Schiffbrücke, im Dorfe Ötscher; er
schlief auf Stroh in einer verödeten Bauernhütte. Auf
dem Rücken Rittmeisters von Prittwitz, der ihn geret-
tet, schrieb er mit Bleistift die Worte an den Minister Finckenstein: »Alles ist verloren, retten Sie die kö-
nigliche Familie; Adieu für immer.« Anderntags
nahm er Quartier in Reitwein, damals noch den
Burgsdorfs gehörig. Hier war es, wo er die berühmte,
an den General Finck gerichtete Instruktion aufsetz-
te, in der er den Prinzen Heinrich zum Generalissi-
mus ernannte und den Willen aussprach, daß die
Armee seinem Neffen schwören sollte.
An diesen Plätzen führt uns jetzt unsere Fahrt vor-
über. Ötscher, wiewohl nah gelegen, verbirgt sich
hinter Hügeln, desto malerischer treten Reitwein und
Göritz hervor. Schöner freilich muß der Anblick die-
ses Bildes gewesen sein, als die
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