Wanderungen durch die Mark Brandenburg
alte Göritzer Kirche,
ein berühmter Wallfahrtsort, auf der Höhe des Hü-
gels lag und sich mit der Kirche von Reitwein drüben begrüßte. Aber Göritz und seine Kirche sind in jedem
Sinne von ihrer Höhe herabgestiegen. Keine Wallfah-
rer kommen mehr, und als sei es nicht länger mehr
nötig, das berühmte Wallfahrtshaus, die Kirche,
schon von weither sichtbar zu machen, hat man die
neue Kirche (nachdem die alte, kurz vor der Zorn-
dorfer Schlacht, von den Russen zerstört worden
war) in der Tiefe wieder aufgebaut.
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Die Göritzer Kirche hat uns zu guter Zeit an die Rus-
sen und die Zorndorfer Schlacht gemahnt; denn wir
verlassen eben das Kunersdorfer Terrain, um in das
von Zorndorf einzutreten.
Was wir zunächst erblicken, ist Küstrin, turmlos,
grau, in dünne Nebel gehüllt die alte neumärkische
Hauptstadt, um deren Rettung es sich handelte, als
am 21. August 1758 der König von Schlesien her am
linken Oderufer erschien. Alle Namen zu beiden Sei-
ten des Flusses erinnern auch hier an Tage bitterer
Bedrängnis und schwer erkauften Siegs.
Zuerst Gorgast am linken Oderufer. In Gorgast war
es, wo der König seine chiffonniert aussehenden
Truppen mit den glatt und wohlgenährt dastehenden
Regimentern Dohnas vereinigte und sein Mißfallen in
die Worte kleidete: »Meine sehen aus wie Grasteufel,
aber sie beißen.«
Weiter flußabwärts die Fähre von Güstebiese. Ein
wenig poetischer Name, aber doch voll guten Klangs.
Hier setzte der König seine Regimenter über, als er
von Küstrin aus jenen glänzenden Bogenmarsch aus-
führte, der ihn, genau da, wo der Gegner einen
Frontangriff erwartete, plötzlich in den Rücken desselben führte.
Rechts hin, fast am Ufer des Flusses entlang, dehnt
sich die Drewitzer Heide – ein grüner Schirm, der
das eigentliche Schlachtfeld dem Auge des Vorüber-
fahrenden entzieht. Dahinter liegen die Dörfer und
Stätten, deren Namen mit der Geschichte jenes blu-
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tigen Tages verwoben sind: die Neudammsche Müh-
le, der Zaber- und Galgengrund, endlich Zorndorf
selbst.
Wir haben Küstrin passiert – ein scheuer Blick nur
traf jenen halb verbauten Wallgang zwischen Bastion
König und Bastion Brandenburg, wo am
6. November 1730 Kattes Haupt in den Sand rollte –
; auch das Schlachtfeld liegt bereits hinter uns, das
achtundzwanzig Jahre später diesen Terrainabschnitt
zu historischem Ansehen erhob, und wir fahren nun,
als hätten sich die Flußufer vorgesetzt, durch Kon-
traste zu wirken, in jene friedlich-fruchtbaren Ge-
genden ein, die, vor 100 oder 150 Jahren noch ein
ödes, wertloses Sumpfland, seitdem so vielfach und
mit so vielem Recht die Kornkammern unseres Lan-
des genannt worden sind. Das Oderbruch dehnt sich auf Meilen hin zu unserer Linken aus.
Der Anblick, den es, im Vorüberfahren, vom Fluß aus
gewährt, ist weder schön und malerisch, noch verrät
er eine besondere Fruchtbarkeit; gegenteils, das
Vorland, das sich dem Auge bietet, macht kaum den
Eindruck eines gehegten Stück Wiesenlands, wäh-
rend die Raps- und Gerstenfelder, die sich golden
dahinter ausdehnen, dem Auge durch endlose
Damm- und Deichwindungen entzogen werden.
Durch Damm und Deiche, die freilich, indem sie die
Niederung gegen ihre früheren Überschwemmungen
schützten, erst den Reichtum schufen, der sich jetzt
hinter diesen Linien verbirgt.
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Der Reichtum dieser Gegenden offenbart sich uns
nicht in seinen goldenen Feldern, aber wir erkennen
ihn doch an seinen ersten und natürlichsten Folgen –
an den Dörfern, die er geschaffen. Da gibt es kein
Strohdach mehr, der rote Ziegel lacht überall aus
dem Grün der Wiesen hervor, und statt der dürftig
hölzernen Kirchtürme des vorigen Jahrhunderts, die
kümmerlich wie ein Schilderhaus auf dem Kirchen-
dach zu sitzen pflegten, wachsen jetzt in solidem
Backsteinbau – die Campanellen Italiens oft nicht
unglücklich kopierend – die Kirchtürme in die Luft.
An diesem Reichtume nehmen die Dörfer des andern
(rechten) Oderufers teil, und ansteigend an der Hü-
gelkette gelegen, die sich eine Meile unterhalb
Küstrin am rechten Oderufer hinzuziehen beginnt,
gesellen sich Schönheit und malerische Lage, viel
mehr, als man in diesen Gegenden erwartet, zu dem
Eindruck des Reichtums und beinahe holländischer
Sauberkeit.
Nun sind wir über Amt Kienitz (ein altes Dorf, vor
zwei Jahrhunderten dem General Görtzke, dem »Pa-
ladin des Großen Kurfürsten«, gehörig) und
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