Wanderungen durch die Mark Brandenburg
würden das Bild wohl
erweitern, aber nicht lebendiger machen. Auch das,
was wir sonst wohl heranzuziehen gewohnt sind: die
Grabsteine in der Kirche, die Sagen und Traditionen
im Dorfe selbst – alles versagt gleicherweise den
Dienst. Die Kirche hat aufgeräumt mit den alten Hin-
terlassenschaften, selbst der Name Quilitz ging ver-
loren, und nur die Kleidung seiner Bewohnerinnen ist
noch wie eine Art Tradition aus der Wendenzeit her
geblieben. Frauen und Mädchen des Dorfes tragen
noch den roten, vielgefalteten Friesrock, das geblüm-
te Mieder, den breiten Überfallkragen, das ganze
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malerische Kostüm, das ich an anderer Stelle bereits
ausführlicher beschrieben habe.
Einigermaßen Leben und Farbe gewinnt die Ge-
schichte von Quilitz erst mit dem Jahre 1763, und
wir wenden uns deshalb, mit Übergehung alles des-
sen, was vorher liegt, dieser Epoche zu.
Quilitz von 1763 bis 1814
Nach dem Tode des Markgrafen Karl fielen die am
Rande des Oderbruchs gelegenen Güter desselben,
Friedland und Quilitz, an die Krone zurück. Aber
nicht auf lange; Friedrich II. verschenkte sie im sel-
bigen Jahre noch, und zwar gab er Friedland an den
damaligen Major von Lestwitz, »den Sieger von Tor-
gau«, Quilitz an den Oberstlieutenant von Prittwitz,
der in der Schlacht bei Kunersdorf, als Rittmeister
bei den Zietenschen Husaren, den König vor drohen-
der Gefangenschaft gerettet hatte. Gegen beide Offi-
ziere unterhielt der König seit den genannten beiden
Tagen ein verwandtes Gefühl besonderer Dankbar-
keit. »Lestwitz hat den Staat , Prittwitz hat den König gerettet«, so hieß es damals sprichwörtlich.
»Lestwitz a sauvé l'état, Prittwitz a sauvé le roi.«
Die Rettung des Königs durch Prittwitz wird ver-
schieden erzählt. Die gewöhnliche Darstellung des
Hergangs ist die folgende:
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»Als gegen Abend die preußischen Truppen nach
übermenschlicher Anstrengung und Tapferkeit end-
lich zurückgeworfen waren und fast aufgelöst das
Schlachtfeld verließen, war der große König in Ver-
zweiflung, und man hörte ihn die Worte rufen: ›Kann
mich denn heute keine verwünschte Kugel treffen!‹
Zwei Pferde waren ihm unter dem Leibe erschossen
worden, und eine dritte Kugel hatte ihm ein goldenes
Etui in seiner Westentasche zerdrückt.1) Nach dem
schnellen Rückzuge des Heeres streifte noch Joachim
Bernhard von Prittwitz mit einem Trupp von etwa
fünfzig seiner Zietenschen Husaren auf dem
Schlachtfelde umher. Als auch er endlich sich vor
den andrängenden Kosakenschwärmen zurückziehen
wollte, rief ihm der Unteroffizier Velten, der, später
geadelt, als Major in der Rheincampagne fiel, zu:
›Herr Rittmeister, da steht der König !‹ Sich umwen-dend, erblickte Prittwitz den König, der fast allein
und nur in Begleitung eines Pagen, welcher sein
Pferd hielt, auf einem Sandhügel des sogenannten
Mühlberges stand. Er hatte seinen Degen vor sich in
die Erde gestoßen und blickte mit verschränkten Ar-
men dem herannahenden Verderben entgegen. Eilig
sprengte Joachim Bernhard auf ihn zu, doch nur mit
Mühe vermocht er ihn zu überreden, sich aufs Pferd
zu werfen und auf seine Rettung bedacht zu sein.
Endlich folgte der König seinen Bitten, indem er rief:
›Nun, Herr, wenn Ihr meint, vorwärts.‹ Aber schon
waren die Kosaken ganz nahe gekommen. Joachim
Bernhard wandte sich um und schoß den feindlichen
Offizier vom Pferde. Dies machte die Verfolger einen
Augenblick stutzen, der König gewann mit seiner
kleinen Schar einen Vorsprung, und jene vermochten
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ihn nicht wieder einzuholen. Mehrmals rief er dabei
aus: ›Prittwitz, ich bin verloren!‹ Auf diese Weise
rettete sich Friedrich vom Mühlberg herab ins Tal,
über die sogenannte große Mühle, hinter deren Défi-
lén er vorläufig sicher war. Hier ritt er auf die erste Anhöhe und sah auf die zerschossenen Bataillone,
die vorüberzogen. Mit Tränen in den Augen rief er
ihnen zu: ›Kinder, verläßt mich heute nicht, euren
König, euren Vater.‹ Und dann ritt er weiter und kam
spätabends nach dem Dorfe Ötscher. Auf dem Rü-
cken Joachim Bernhards schrieb er hier mit Bleistift
an den Minister Finckenstein in Berlin die berühmt
gewordenen Worte: ›Alles ist verloren, retten Sie die
königliche Familie, Adieu für immer.‹ Während in
Ötscher der unglückliche König, nur von wenigen
Getreuen umgeben, sich aufs Stroh warf, sammelte
Joachim Bernhard die aufgelösten Trümmer
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