Wanderungen durch die Mark Brandenburg
trat namentlich ein, als die
Franzosen ins Land kamen und auch die Havelge-
genden überschwemmten. Der »Gräfin« Klugheit
führte alles glücklich durch. Sie wußte, wo ein Riegel
vorzuschieben war, aber sie ließ auch gewähren.
Eine rätselvolle Geschichte ereignete sich in jenen
Jahren. Französische Chasseurs zechten im Saal;
einer stieg in den Keller hinab, um eine Kanne
»frisch vom Faß« zu zapfen. Nun trifft es sich, daß
das Marquardter Herrenhaus einen doppelten Keller
hat, den einen unter dem andern. Wahrscheinlich
erlosch das Licht, oder der Trunk schläferte den
Chasseur ein, kurzum, er kam nicht wieder herauf;
sein Hilferuf verhallte, der Trupp, in halbem Rausche,
verließ Schloß und Dorf, und des Franzosen wurde
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erst wieder gedacht, als es im Hause zu rumoren
begann. Nun forschte man nach. An einer dunkelsten
Stelle des Kellers lag der Unglückliche, unkenntlich
schon, neben ihm ein halb niedergebranntes Licht.
Die »Gräfin« gab ihm ein ehrlich Begräbnis; da wurd
es still. Sie ahnte damals nicht, daß sie im Glauben
des Volkes, im Geplauder der Spinnstuben diesen
Spuk einst ablösen würde.
Die Franzosenzeit war vorüber, der Siegeswagen
stand wieder auf dem Brandenburger Tor, die Kinder
des Marquardter Herrenhauses blühten auf; die
»Gräfin«, noch immer eine stattliche Frau, war nun
sechzig. Die Jugend der Kinder gab dem Hause neu-
en Reiz; es waren seit lange wieder Tage glücklichen
Familienlebens, und dies Glück wuchs mit der Ver-
heiratung der Töchter. Die älteste, Luitgarde, ver-
mählte sich mit einem Hauptmann von Witzleben
(später General), der damals eine Compagnie vom
Kaiser-Franz-Regiment führte. Die zweite, Blanka,
geboren 1797, von der die »Gräfin« mit mütterli-
chem Stolz zu sagen pflegte:
Meine Blanka, blink und blank,
Ist die Schönst' im ganzen Land,
wurde die Gattin eines Herrn von Maltzahn; die
jüngste, Bertha, geboren 1799, gab ihre Hand einem
Herrn von Ostau, damals Rittmeister im Regiment
Garde du Corps. Tage ungetrübten Glückes schienen
angebrochen zu sein, aber nicht auf lange. Die bei-
den jüngeren Töchter starben bald nach ihrer Verhei-
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ratung, innerhalb Jahresfrist. Dem Tode der schönen
Blanka ging ein poetisch-rührender Zug vorauf. Sie
lag krank auf ihrem Lager. Da meldete der Diener,
daß das »Kreuz« aus Potsdam angekommen sei. Die
junge schöne Frau hatte wenige Tage zuvor ein
Kreuz, das sie auf der Brust zu tragen pflegte, einer
Reparatur halber nach Potsdam hinein geschickt, und
sie bat jetzt, ihr das Andenken, das ihr schon gefehlt
hatte, zu zeigen. Da trug man ihr ein Grabkreuz ans
Bett, das von der alten Gräfin, anstelle der Urne, für
die große Gartengruft bestellt worden war. Sie wußte
nun, daß sie sterben würde. Schon ein Jahr vorher
war die jüngere Schwester, Frau von Ostau2), gestor-
ben. Beide wurden in der Marquardter Kirche beige-
setzt.
Die Jahre des Entsagens, der Erkenntnis von den
Eitelkeiten der Welt, waren nun auch für das stolze
Herz der »Gräfin« angebrochen. Sie zog sich mehr
und mehr aus dem Leben zurück; nur die Interessen
der kleinen Leute um sie her und die großen Interes-
sen der Kirche kümmerten sie noch; im allgemeinen
verharrte sie in Herbheit und Habsucht. So kam ihr
Ende. Sie starb, sechsundsiebzig Jahre alt, am
3. November 1833, im Hause der einzigen sie über-
lebenden Tochter, der (damaligen) Frau Oberst von
Witzleben, zu Potsdam und wurde am 6. November
zu Marquardt, an der Seite ihres Gemahles, beige-
setzt. Die Rundgruft im Park schloß sich zum zweiten Mal.
Die Rundgruft im Park schloß sich zum zweiten Mal; aber die »Gräfin«, wie man sich im Dorfe erzählt,
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kann nicht Ruhe finden. Oft in Nächten ist sie auf.
Sie kann von Haus und Besitz nicht lassen. Sie geht
um. Aber es ist, als ob ihr Schatten allmählich
schwände. Noch vor zwanzig Jahren wurde sie gese-
hen , in schwarzer Robe, das Gesicht abgewandt;
jetzt hören die Bewohner des Hauses sie nur noch.
Wie auf großen Socken schlurrt es durch alle unteren
Räume; man hört die Türen gehn; dann alles still.
Einige sagen, es bedeute Trauer im Hause; aber das
Haus ist nicht Bischofswerdersch mehr, und so mö-
gen die recht haben, die da sagen: sie »revidiert«,
sie kann nicht los.
1. Es waren dies zwei Töchter. Die eine, Karoline Erdmute Christiane, blieb unverheiratet und
starb 1842. Über ihr Begräbnis in Marquardt
berichten
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