Wanderungen durch die Mark Brandenburg
meine siebzigjährige Pilger-
fahrt« (Breslau, W. G. Korn, 1824), schreibt:
»Ich stand mit auf der Liste, die der Minister
für Schlesien, Graf Hoym, als eine Art Konspi-
ratorenverzeichnis beim Könige eingereicht
hatte. Es traf sich aber, daß General von Bi-
schofswerder, wenige Tage zuvor, einiges aus
meinem ›Marc Aurel‹ dem Könige vorgelesen
hatte, der nunmehr ohne weiteres den Namen
Feßler durchstrich, dabei bemerkend: › Der ist
kein Schwindelkopf, er ist monarchisch ge-
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sinnt, wie sein »Marc Aurel« zeigt.‹« So ge-
ringfügig dieser Hergang ist, so lehrreich ist
er doch auch. Er zeigt, ebenso wie das oben
aus Massenbachs Memoiren Mitgeteilte, daß
sich der Hof Friedrich Wilhelms II. (und in
erster Reihe sein Generaladjutant) sehr wohl
um literarische Dinge kümmerte, scharf auf-
paßte und sich danach ein Bild von den Per-
sonen machte.
Marquardt von 1803 bis 1833
Frau von Bischofswerder, geborne von Tarrach, ver-
witwete Gräfin Pinto
Beim Tode Bischofswerders war sein Sohn und Erbe
erst acht Jahre alt; es trat also eine Vormundschaft
ein. Diese Vormundschaft führte die Mutter und
blieb, weit über die Minorennitätsjahre ihres Sohnes
hinaus (den der Dienst in Berlin und Potsdam fessel-
te), nicht de jure, aber doch de facto, die Regentin
von Marquardt bis zu ihrem Tode. Auf diese dreißig
Jahre richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit. Zu-
nächst auf die Dame selbst.
Frau Generalin von Bischofswerder war eine gebore-
ne von Tarrach. Ihr Vater war der Geheime Finanzrat
von Tarrach zu Tilsit, dessen Kinder es alle zu hohen
Stellungen in Staat und Gesellschaft brachten. Sein
Sohn war in den zwanziger Jahren preußischer Ge-
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sandter in Stockholm, eine jüngere Tochter vermähl-
te sich mit dem Marquis von Lucchesini, die älteste,
Wilhelmine Katharine, wurde die Frau des Günstling-
Generals und Ministers von Bischofswerder.
Aber sie wurde es erst in zweiter Ehe. Ihre erste Ehe schloß sie mit dem Grafen Ignaz Pinto, den Friedrich
der Große um 1770 aus sardinischen Diensten nach
Preußen berufen, zum Flügeladjutanten gemacht und
zum Mitgründer des unter ihm gebildeten General-
stabes, zum Generalfeldbaumeister, zum Maréchal
de logis de l'armée und zum Generaladjutanten er-
nannt hatte. Gleichzeitig hatte er ihm verschiedene
Güter in Schlesien, darunter Mettkau im Neumarkter
Kreise, sowie das Inkolat als schlesischen Grafen
verliehen. Man sieht, es war dem Fräulein von Tar-
rach das seltene Glück beschieden, den Günstlingen
zweier Könige die Hand reichen zu können.
Graf Pinto starb 1788. Seine Witwe, die Gräfin, war
damals einunddreißig Jahr alt. Sie trat sehr bald zu
Bischofswerder, der etwa um ebendiese Zeit Witwer
geworden war, in nähere Beziehungen, und klug und
schön, wie sie war (sie »schoß« ein wenig mit den
Augen, und die medisierenden Hofleute sagten: »Elle
est belle, mais ses yeux ›ne marchent pas bien‹«),
nahm das Verhältnis einen wirklichen Zärtlichkeitston
an, der, wenigstens damals, zwischen Leuten von
Welt zu den Ausnahmen zählte. Es scheint, dieser
Ton überdauerte selbst die Flitterwochen, die sehr
wahrscheinlich in den Sommer 1789 oder 1790 fie-
len. 1792 während des Champagne-Feldzuges wurde
von französischen Truppen eine eben eingetroffene
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preußische Feldpost erbeutet, und acht Tage später
las irgendein Montagnard in der Nationalversamm-
lung die Zeilen vor, die Frau von Bischofswerder an
ihren Gemahl ins Feldlager gerichtet hatte. Der ent-
schieden lyrische Grundton dieses Briefes erweckte
die Heiterkeit der Versammlung.
Das war in den ersten Jahren. Aber die Intimität
blieb. Ein Sohn und drei Töchter wurden aus dieser
zweiten Ehe geboren, so daß damals im Marquardter
Herrenhause alle Arten von Stiefgeschwistern anzu-
treffen waren: Kinder aus der ersten Ehe des Herrn
von Bischofswerder, Kinder aus der ersten Ehe der
Frau von Bischofswerder (mit dem Grafen Pinto) und
Kinder aus der zweiten Ehe beider. Die gräflich Pin-
toschen Kinder scheinen übrigens nur ausnahmswei-
se in Marquardt gewesen zu sein, während die Bi-
schofswerderschen Kinder aus seiner ersten Ehe mit
dem Fräulein von Wilke bis zuletzt die freundlichsten
Beziehungen zum Marquardter Herrenhause unter-
hielten.1)
1803 starb der General. Wir haben seine Beisetzung
geschildert. Seine Ehe, wie schon hervorgehoben,
war eine glückliche gewesen, und die Wahrnehmung,
daß
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