Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Champagner getrunken; ich
werde in dieser Welt keinen Geburtstag mehr feiern.
Mein Großvater ist im dreiundsechzigsten Jahre ge-
storben, mein Vater auch, und ich werde ebenfalls im
dreiundsechzigsten Jahre sterben. Gehen Sie übers
Jahr auf unsern Kirchhof und beten Sie an meinem
Grabe für meine arme Seele.‹«
Und so geschah es. Als sein dreiundsechzigster Ge-
burtstag kam, war er hinüber. Nicht in der Garten-
gruft, auch nicht in der Gruft unterm Altar, sondern
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auf dem kleinen Friedhofe, der die Kirche einfaßt,
ward er begraben. Zu Häupten des efeuumzogenen,
von einer Esche beschatteten Hügels wurde ein
Kreuz errichtet, das die Inschrift trägt: »Hier ruht in Gott der königliche Generallieutenant Hans Rudolf
Wilhelm Ferdinand von Bischofswerder, geboren am
9. Juli 1795, gestorben am 24. Mai 1858«; auf der
Rückseite des Kreuzes aber stehen die Worte:
»Der letzte seines Namens.«
Marquardt seit 1858
Der letzte Bischofswerder hatte seine Ruhestatt ge-
funden. Nur zwei Töchter verblieben. Die ältere, Pau-
line von Bischofswerder, der Liebling des Vaters,
vermählte sich mit Herrn von Damnitz, der nun, sei
es durch Kauf, sei es durch Erbschaft, auf kurze Zeit
in den Besitz von Marquardt gelangte. Im ganzen nur
auf zwei Jahre. Aber diese zwei Jahre schnitten tief
ein. Herr von Damnitz, so wird erzählt, voll Anhäng-
lichkeit gegen das blaubordierte und blaugepaspelte
Kürassierregiment, bei dem er Jahre hindurch ge-
standen hatte, benutzte eine Neuweißung der Kirche,
um den Wänden, den Kirchenstühlen, den Tür- und
Kanzelfeldern einen blauen Einfassungsstreifen zu
geben. Die oben erwähnte Tonne aber, auf der vielleicht einzig und allein die Möglichkeit einer exakten
Geschichtschreibung der Epoche von 1786 bis 1797
beruhte, wurde zum Feuertode verurteilt. Zwei Tage
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lang wurde mit ihrem Inhalt der Backofen geheizt.
Omar war über Marquardt gekommen.
Keine Frage, daß Herr von Damnitz, aus einer gewis-
sen Pietät heraus, in dieser Weise handeln zu müs-
sen glaubte; »Wozu der alte Skandal, wozu die er-
neute Kontroverse!« Viele alte Familien denken e-
benso: »der Gewinn ist précaire, der Schaden ist
sicher« – und so verlieren sich unersetzliche Auf-
zeichnungen in Ruß und Rauch. Wir begreifen die
Empfindung, aber wir beklagen sie; es ist der Tri-
umph des Familiensinns über den historischen Sinn.
Und der letztere ist doch das Weitergehende, das
Idealere.
Herr von Damnitz blieb nur bis 1860. Herr Tholuck,
ein Neffe des berühmten Hallenser Theologen, folgte.
In ihm war dem devastierten Gute endlich wieder ein
Wirt gegeben, eine feste und eine geschickte Hand.
Die erste seit dem Tode des älteren Bischofswerder (1803). Ein Geist der Ordnung zog wieder ein.
Der Park klärte sich auf, das alte Schloß gewann
wieder wohnlichere Gestalt, und an der Stelle verfal-
lender oder wirklich schon zerbröckelter Wirtschafts-
gebäude erhoben sich wieder Ställe und Scheunen,
alles sauber, glau, fest. Marquardt war wieder ein
schöner Besitz geworden.
Wir treten jetzt in ihn ein.
Der prächtige, zwanzig Morgen große Park nimmt
uns auf. Er ist, in seiner gegenwärtigen Gestalt, im
wesentlichen eine Schöpfung des Günstling-
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Generals. Seine Lage ist prächtig; in mehreren Ter-
rassen, wie schon zu Eingang dieses Kapitels ange-
deutet, steigt er zu dem breiten, sonnenbeschiene-
nen Schlänitz-See nieder, an dessen Ufern, nach
Süden und Südwesten hin, die Kirchtürme benach-
barter Dörfer sichtbar werden. Mit der Schönheit
seiner Lage wetteifert die Schönheit der alten Bäu-
me: Akazien und Linden, Platanen und Ahorn, zwi-
schen die sich grüne Rasenflächen und Gruppen von
Tannen und Weymouthskiefern einschieben.
In der Nähe des Herrenhauses steht eine mächtige
Kastanie in vollem Blütenflor. Sie ist wie ein Riesen-
bouquet; die weit ausgestreckten Zweige neigen sich
bis zur Erde. Es ist dies der Baum, der am Tauftage
des Sohnes und Erben, in Gegenwart des Königs,
gepflanzt wurde. Die Familie erlosch, der Baum ge-
dieh.1) An ihm vorbei treten wir in das Herrenhaus.
Es ist ein relativ neuer Bau. 1791 legte ein rasch um
sich greifendes Feuer das halbe Dorf in Asche; auch
das »Schloß« brannte aus; nur die Umfassungsmau-
ern blieben stehen. Das Herrenhaus, wie es sich jetzt
präsentiert, ist also nur achtzig Jahre alt. Es macht
indessen einen viel älteren Eindruck, zum Teil wohl,
weil ganze
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