Wanderungen durch die Mark Brandenburg
den Glaser kommen zu las-
sen; allabendlich aber, als ob es sich um die Zeit der
Burgverliese gehandelt hätte, rückte, Punkt zehn
Uhr, die ganze Dienerschaft in die Front, um die Par-
terrefenster zu verbolzen und den Eingang über-
haupt zu verrammeln. Ein zu diesem Behuf immer
bereitstehender Palisadenpfahl wurde dann, von in-
nen her, schräg gegen die Tür gestemmt und in die-
ser primitiven Weise, selbstverständlich unter unge-
heurem Gelärme, die Schließung und nächtliche Si-
cherstellung des Hauses vollzogen.
Anscheinend ohne Grund, denn es war nichts da,
was auf den ersten Blick hin zu Diebstahl und Ein-
bruch hätte reizen können. Aber hierin irrte nun frei-
lich dieser »erste Blick«, da sich vielmehr umgekehrt
in den auf Flurgängen und Bodenräumen massenhaft
umherstehenden Schränken und Truhen eine ganze
Weit allerwertvollster Dinge barg. Spitzen und
Staatsröcke, kostbare Schuhschnallen und seidene
Strümpfe, des reichen Tafelgeschirrs zu geschwei-
gen, das in Kisten und Kasten verpackt war und fle-
ckig wurde, weil's niemand putzte.
Welcher Art seine Beziehungen zu seinem berühmten
Pariser Bruder waren, darüber verlautet nichts; sehr
wahrscheinlich ähnelten sie sich zu sehr, um Gefallen
aneinander zu finden. Ihre Sonderbarkeiten waren
nicht gleich, aber in der Art, in der sie sich gaben,
zeigte sich doch die Verwandtschaft.
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Unter Graf Heinrichs vielen und sich immer ablösen-
den Passionen war eine Zeitlang auch die landwirt-
schaftliche, der er sich hingab, ohne nach Wissen
und Erfahrung oder auch nur nach wirklicher Neigung
ein Landwirt zu sein. Immer wollt er kaufen und me-
liorieren, am liebsten aber Wunder tun, und verfiel
dabei regelmäßig in bloße Skurrilitäten, auch wenn
er ausnahmsweise leidlich verständig begonnen hat-
te. Nur ein Beispiel. Unter den ihm verbliebenen Be-
sitzungen war auch ein Gut in der Neumark, auf dem
er – wohl infolge von Anregungen, wie sie gerade
damals durch Thaer und Koppe gegeben wurden –
eine Förderung der Schafzucht und vor allem die
Beseitigung der sogenannten Drehkrankheit erstreb-
te. Diese wegzuschaffen, war er nicht bloß ernst und
fest entschlossen, sondern lebte zuletzt auch des
Glaubens, ein wirkliches Präservativ gegen dieselbe
gefunden zu haben. Er gab zu diesem Behufe, so
heißt es, allen Schafen täglich drei Hoffmannstropfen
auf Zucker und ließ ihnen rote Leibchen und ebensol-
che Mützen machen, um sie gegen Erkältung und
namentlich gegen »Kopfkolik« zu schützen.
Er war in allem apart, und apart, wie sein Leben ge-
wesen war, war denn endlich auch sein zu Caputh,
bei General von Thümen, erfolgender Tod. Im Gefol-
ge seiner vielen Passionen befand sich auch die Ba-
depassion, die bei jemandem, der von Jugend auf
über einen zu heißen Kopf geklagt und als Knabe
schon nichts Schöneres gekannt hatte, als »unter die
Tülle gestellt zu werden«, nicht groß überraschen
konnte. Von Mai bis Oktober, ob die Sonne stach
oder nicht, schwamm er, der inzwischen ein hoher
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Sechziger geworden war, in der Havel umher und
freute sich der ihn erlebenden Kühle. Mal aber geriet
er ins Binsengestrüpp, und als er über Mittag nicht
kam und man zuletzt mit Fackeln nach ihm suchte,
fand man ihn, in fast gespenstischer Weise, den Kör-
per im Moor und nur Kinn und Kopf über dem seich-
ten Wasser.
Er wurde den dritten Tag danach auf dem Kirchhofe
zu Caputh begraben, und sein Tod hatte noch einmal
eine Teilnahme geweckt, die seinem Leben seit lange
gefehlt hatte.
1. Einer dieser Söhne (der dritte), Gustav Graf
Schlabrendorf, geboren 1750, preußischer
Kammerherr und Stiftsherr zu Magdeburg, ist
der durch seine Schriften, insonderheit auch
durch seine Pariser Schicksale während der
Revolutionszeit berühmt gewordene Graf
Schlabrendorf. Er war ein Anhänger der Gi-
rondisten, weshalb er sich, in den Schre-
ckenstagen, auf Antrag Robespierres einge-
kerkert sah. An dem Tage, wo der Karren vor-
fuhr, um ihn und andere Verurteilte zum
Schafott abzuholen, fehlten ihm seine Stiefel,
woraufhin er erklärte: »man könne doch am
Ende verlangen, in Stiefeln guillotiniert zu
werden«. Es hatte das seine Wirkung, und der
Scherge, der infolge dieser Bemerkung in eine
gute Laune gekommen war, antwortete: »Eh
bien; demain matin.« Am andern Morgen a-
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ber, wo des Grafen Name nicht mehr auf der
Liste stand, wurd er vergessen und bald da-
nach,
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