Wanderungen II. Das Oderland.
gefolgt sein mußte, sagte ruhig: »Das ist dem Müller seiner; der andere blafft nicht.« Und die Ruhe, mit der er dies sagte, überhob mich jeder Verlegenheit. So kamen wir endlich auf der Kuppe des Hügels an.
An der Rückseite desselben befinden sich noch halbmannshohe Mauerreste, mit deren Hülfe sich die Grundform der ehemaligen Burg, besonders aber des Burgtors, vielleicht bestimmen ließe. Der Eingang in das letztere, noch deutlich erkennbar, wird irrtümlich als Kellereingang bezeichnet, weil sich die Phantasie der Kiezer am liebsten mit Kellergewölben und den Trampeschen Fässern beschäftigt.
Wir unsrerseits maßen zunächst die Überbleibsel der alten Umfassungsmauer aus, setzten uns dann, einen Strauch als Lehne, auf die Trümmerwand und blickten in die Schlucht nieder, auf der Elsen- und Birkengebüsch so dicht, so still, so schwellend heraufzusteigen schien, wie Blätter aus einem Korbe quellen, in den sie zuvor gepreßt wurden. Und dazu klang es in der Tiefe wie ein Quell, der über Kiesel fällt. Ich fragte: »Ist das ein Wasser unten?« – »Ja.« – »Wie heißt es?« – »Das klingende Fließ .« Sonst war alles ruhig. Der Führer, längst gesprächig geworden, fing an zu erzählen von Pfingst- und Maiennächten, wenn unten in Tal und Schlucht die Rehe schrein und hoch über dem Berg, als wär es der Kyffhäuser, die Dohlen kreischen. Aber es war nicht Mai, nicht Pfingsten mehr, kein Reh schrie durch die Nacht selbst der Hundeblaff in der Mühle schwieg. Nur das klingende Fließ klang nach wie vor im Silberton zu uns herauf.
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So fanden wir den Schloßberg. Wir verließen ihn, um heimkehrend uns der Frage zuzuwenden: Was erzählt uns die Geschichte – sie , die jede Auskunft über den Schloßberg selbst verweigert – von den Bewohnern desselben, von den Uchtenhagens?
Die historische Zeit der Uchtenhagen umfaßt einen Zeitraum von etwa drittehalb Jahrhunderten. 1367 wird ihrer zum ersten Male gedacht, und 1618 erlischt das Geschlecht. Eine Urkundensammlung, wie sie neuerdings unter Benutzung der verschiedensten Archive veröffentlicht worden ist, hat die Herstellung einer Stammtafel ermöglicht, der wir – und dadurch mittelbar der Urkundensammlung selbst – einen mühelosen Verkehr zwischen oben und unten, zwischen Anfang und Ende des Geschlechts verdanken. Aber wir verdanken ihr nichts, was als eine historische Tat der Uchtenhagens angesehen werden könnte. Vielmehr fehlt nach dieser Seite hin all und jedes. Wir begegnen ihnen weder in Kostnitz noch in Worms; wir sehen sie weder unter Friedrich dem Eisernen vor Bernau noch zu Joachim Hektors Zeiten bei Mühlberg; wir sehen sie weder gegen die Hussiten noch gegen die Türken im Felde und dürfen eben nur annehmen , daß sie nirgends gefehlt haben werden, wo es galt, dem Rufe des Kurfürsten zu folgen oder für die Ehre des Landes einzustehen.
Noch einmal also, das urkundliche Material bietet uns landes- oder allgemeingeschichtlich nichts, es belehrt uns aber über die Vermögensverhältnisse der Familie und zeigt uns dieselbe in ihren Beziehungen zu ihren Lehnsmännern, Burgleuten und Hintersassen oder, wenn uns der Ausdruck gestattet ist, in den Verwaltungsgrundsätzen, wonach sie die Regierung ihres ziemlich ausgedehnten Besitzes leiteten, eines Besitzes, der nach Quadratmeilen rechnete und Städte umschloß. Da finden wir denn die Uchtenhagens, allen alten Sagen, »wie sie sich die Kiezer erzählen«, zum Trotz, als wahre Muster ritterlichen Wandels; fromm, sittig, ehrbar in ihrem Hause, mild, helfend, fürsorglich nach außen hin. Sie bauen Kirchen und schenken Glocken, sie schützen die Bürger in ihrem Recht und ihrem Besitz, sie belohnen den Rat Freienwaldes mit neuen Feldmarken, sie vertreten die Stadt vor dem Kurfürsten und erwirken ihr Jahrmarktstage und Freiheit von Zoll und Abgaben. Nichts, was die finsteren Märchen rechtfertigte, die in Spinnstuben bis diesen Tag mit Graus und Behagen geflüstert werden, vielmehr in allem die Anzeichen einer Regierungskunst im kleinen, dabei, in bestem Sinne, das Bewußtsein von den Rechten und Pflichten des Regiments. Ein Spruch im Freienwalder Stadtarchive gibt uns Auskunft darüber, aus welchem Glauben und Meinen heraus die Uchtenhagen ihre Herrschaft übten.
All' Obrigkeit, die ist von Gott
Und soll handhaben sein Gebot. Es soll ihr gehorchen alle Welt,
Nicht leben, wie's Lust und Laune gefällt. Das Schwert gab Gott in ihre Hand,
Damit zu wahren Leute und Land.
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