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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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und hatte Takt. Sie zog in eine kleine Wohnung und fiel niemandem zur Last, sie erledigte den Kleinkram des Alltags allein, umsichtig und klug. Sie verlangte weder Mitleid noch Beistand. Selbstverständlich wußte sie etwas von ihrem Sohn, was ich nicht wissen konnte. Nur die Mütter kennen die Wahrheit. Sie wußte, daß ihr Sohn zärtlich, respektvoll und aufmerksam war, bloß … Liebte er sie nicht? Schrecklicher Gedanke. Aber lassen wir ihn doch zu, denn an der Seite meines Mannes habe ich gelernt – wir beide hatten es von Lázár –, daß die ungeschminkte Wahrheit eine reinigende, schöpferische Kraft hat. Zwischen Mutter und Sohn gab es nie Streit, nie eine Meinungsverschiedenheit. »Liebe Mutter«, sagte der eine, »Lieber Sohn«, antwortete die andere. Handkuß und Höflichkeitsrituale, aber kein vertrauliches Wort. Sie waren nie lange allein im selben Zimmer; einer von beiden stand immer auf und ging unter einem Vorwand hinaus, oder sie riefen jemanden zu sich herein. Sie hatten Angst, miteinander allein zu bleiben, als hätten sie dann sofort etwas besprechen müssen, und das wäre schiefgegangen, sehr schief, das Geheimnis, von dem sie beide nicht sprechen durften, wäre aufgedeckt worden. So ein Gefühl war das. Ob es wirklich so war? … Ja, so war es.
    Ich hätte sie gern miteinander ausgesöhnt. Aber sie hatten ja gar keinen Streit! Manchmal tastete ich mich ganz vorsichtig, so wie man eine Wunde berührt, an diese Beziehung heran. Doch bei der ersten Berührung begannen sie erschrocken von etwas anderem zu reden. Was hätte ich auch sagen können? … Es gab nichts Handfestes, an dem Vorwürfe oder Klagen festzumachen gewesen wären. Hätte ich sagen können, daß Mutter und Sohn einander irgendwie schlecht behandelten? Nein, denn beide »erfüllten ihre Pflicht«. Das war ihr Alibi. Namenstage, Geburtstage, Weihnachten, all die größeren und kleineren Familienfeste wurden pflichtschuldigst gefeiert. Mütterchen bekam ein Geschenk, und Mütterchen brachte ein Geschenk mit. Mein Mann küßte ihr die Hand, und sie küßte ihn auf die Stirn. Mütterchen nahm am Familientisch den Ehrenplatz ein, und alle redeten respektvoll zu ihr, über die Angelegenheiten der Familie oder der Welt, und nie wurde diskutiert, sondern man hörte sich an, wie Mütterchen ihre Meinung leise, gemessen und höflich vorbrachte, und redete dann von anderem. Immer von anderem, leider … Ach, diese Familienfestessen! Diese Gesprächspausen! Dieses Über-anderes-Reden, dieses höfliche Verstummen. Ich konnte ihnen nicht sagen, konnte es zwischen Suppe und Fleisch, zwischen Geburtstag und Weihnachten, zwischen Jugend und Alter nicht sagen, daß sie immer von anderem redeten. Ich konnte nichts sagen, denn mein Mann redete auch mit mir »von anderem«, sein Schweigen und Verstummen machten auch mich leiden, so wie meine Schwiegermutter, und manchmal dachte ich schon, wir seien beide schuld daran, sie und ich, weil wir zu unverständig waren, weil wir das Geheimnis seiner Seele nicht erforscht und die Aufgabe nicht gelöst hatten, die einzige wahre Aufgabe des Lebens. Wir verstanden uns nicht auf diesen Mann. Sie hatte ihm das Leben geschenkt, ich hatte ihm ein Kind geschenkt … was kann eine Frau noch geben? … Du meinst, mehr nicht. Ich weiß es nicht. Eines Tages begann ich zu zweifeln. Ich will dir das jetzt erzählen, da wir uns getroffen haben und ich ihn gesehen habe, und ich spüre, wie sich das Ganze wieder in mir staut, so daß ich es jemandem erzählen muß, ich denke ja sowieso an nichts anderes. Also, ich erzähle es jetzt. Ermüdet es dich nicht? Hast du noch eine halbe Stunde Zeit? Vielleicht schaffe ich es.
    Es war wohl so, daß er uns beide achtete und wahrscheinlich auch liebte. Aber weder seine Mutter noch ich verstanden uns auf ihn. Das war die Niederlage unseres Lebens.
    Du sagst, auf die Liebe brauche man sich nicht zu »verstehen«? Da täuschst du dich, meine Beste. Das habe auch ich lange Zeit gesagt, habe es als Anklage in die Welt hinausgeschrien. Liebe ist da oder ist nicht da, worauf müßte man sich »verstehen«? Was ist ein Gefühl wert, hinter dem bewußte Absicht steckt? … Du, wenn man älter wird, erfährt man, daß sich die Dinge anders verhalten, daß man sich auf das alles »verstehen« muß. Daß man alles erlernen muß, selbst die Liebe. Ja, auch wenn du den Kopf schüttelst und lächelst. Wir sind Menschen, und alles geschieht durch unseren Verstand. Auch unsere Gefühle und Regungen

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