Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)
imponieren? Oder mir?
»Ja, die Operation ist wohl wirklich zu schwer. Wir …«, meine Mutter stockte, ihre Augen füllten sich mit Tränen, »… es ist wohl besser.« »Wollen Sie dabei sein?« Damit hatte ich nicht gerechnet, und trotzdem sagte ich blitzschnell: »Ja sicher!« Meine Mutter sah mich überrascht an.
»Gut.« Die Ärztin erhob sich. Sie war wirklich winzig. Kaum ein Unterschied, ob sie saß oder stand. »Ich verspreche Ihnen, für den Hund ist das vollkommen schmerzfrei. Ich erkläre Ihnen kurz, was wir machen.« Wir? Weshalb denn wir? Ich mache hier überhaupt nichts, dachte ich. »Zuerst bekommt sie ein Narkosemittel gespritzt. Dann warten wir ein paar Minuten, bis sie eingeschlafen ist, und dann spritze ich dasselbe Mittel noch einmal, aber in einer tödlichen Dosis. Wann hat sie denn zuletzt was gefressen?« Wir überlegten. »Heute Mittag einen Napf Pansen. Den hat sie aber stehen gelassen!« »Gut. Das geht!« Schon hielt sie die aufgezogene Spritze in der Hand. »Können Sie sie hinlegen?« »Ja, sicher«, sagte ich, hob die Hand und rief: »Down!« Das war schon immer ein großes Getue gewesen. Unser Hund, der Hund meines verunglückten Bruders, machte nicht »Platz«, sondern »Down«. Aber jetzt rührte er sich nicht. Ich wiederholte mein Kommando. Wahrscheinlich hatte das seit Jahren niemand mehr von ihm verlangt, da er nur noch herumlag. Kein Mensch wollte mehr, dass er »Down« machte, unsere Befehle hatten sich ins genaue Gegenteil verkehrt: »Los, hoch, du alte Töle, du musst doch ein Mal am Tag raus. Komm jetzt, hoch!«
Meine Mutter legte ihre Hand auf den Rücken des Hundes und drückte ihn sachte nach unten. Er stand da, röchelte und sah nicht die geringste Veranlassung, sich in dieser Praxis auf den Boden zu legen. Die Ärztin sah mich geduldig, aber irgendwie auch fordernd an. Und dann tat ich etwas, das mir bis heute unerklärlich ist. Dieser uralte Hund, mein hechelnder Blutsbruder, machte mich zornig. Warum gehorchte er mir nicht? Warum legte er sich nicht hin, wie er es zuvor hundertausendmal auf dieses bescheuerte »Down!« hin gemacht hatte. Warum war er ausgerechnet jetzt, vor dieser Ärztin, renitent? Ich war mir sicher, in ihrem Blick etwas Überhebliches wahrgenommen zu haben, etwas, das mir vorwarf: »Erst übersiehst du wochenlang diesen riesigen Krebs, der so groß wie ein Fußball ist, und dann gehorcht dir dein eigener Hund nicht mal! Leute wie du sollten überhaupt keine Hunde haben dürfen!«
Ich schob meinen Fuß gegen seine eine Hinterpfote und zog ihm die Hinterläufe weg. Ich warf ihn um. Der Hund stürzte und landete unsanft auf dem Boden. »Was machst du denn?«, rief meine Mutter erschrocken. Die Ärztin kam mir ganz nah, ihr grauer Mauskopf war auf Höhe meiner Brust: »Also bitte, was soll das denn? Vorsicht!«
Der Hund strampelte auf den glatten Fliesen herum. Die Tierärztin hockte sich vor ihn hin, machte »schschschsch…«, klopfte ihn und stach ihm die Spritze in den Bauch. Mir war heiß vor Zorn und Scham. Beide Frauen knieten über dem Hund, hielten ihn, und nach etwa zwanzig Sekunden wurde er schon ruhiger. Erst stand die Ärztin auf, dann meine Mutter. Ich sah zu Boden, aber ich spürte ihre Blicke auf mir. Vor mir lag der Hund. Groß und schlafend. Die Tierärztin stieß eine wesentlich größere Spritze in ein Fläschchen und zog sie auf. Das war sie also: die tödliche Dosis.
»Wir warten jetzt kurz, bis sie ganz tief schläft.« Meine Mutter ließ sich auf einen Stuhl nieder, ganz vorne auf der Kante. Stand kurz darauf wieder auf und setzte sich einfach auf den Boden, nah beim Hund. Ich hätte mich auch gerne zu ihm gesetzt, aber es war, als hätte ich durch meine Grobheit mein Anrecht auf diese Nähe verspielt. Die Ärztin kam zu mir und legte mir ihre winzige Hand auf den Arm: »Bestimmt gut, wenn du dich auch noch einen Moment dazusetzt.«
Dankbar für ihre Nachsicht trat ich einen Schritt auf ihn zu und ging in die Knie, da krümmte sich der Hund und fing an zu würgen. Mehrmals zog sich seine Bauchdecke ruckartig nach innen, und dann erbrach er einen bräunlichen Brei auf den Boden. Sofort roch es ekelhaft nach Kokos und Kotze. Meine Mutter hatte etwas auf die Hose bekommen, ging zum Waschbecken und rieb energisch mit ihrer mit einem Mondstein beringten Hand auf dem Hosenbein herum. In den Augen der Papiertücher auf den Fleck werfenden Ärztin sah ich, dass wir uns nun endgültig als Tierquäler entlarvt hatten. Alle ihre
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