Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)
der ganzen Gegend gepriesen hatte, zerkrümelte die Klumpen und streute sie über den Hundekopf. Schwarze Erde, schwarze Ohren.
Erst als ich diesen so geliebten Kopf vergraben hatte, ihn nicht mehr sehen musste, ging es mir besser, und in der nächsten halben Stunde füllte ich das Riesenloch wieder auf und bedeckte es mit den Grassoden, trat sie fest. Ich hatte einen Grabhügel erwartet, aber keinerlei Erhebung war zu sehen. Einfach Wiese, fest und eben wie zuvor. Wie konnte das sein? Der Hund war einfach verschwunden. Ich warf die Schaufel durch die Stalltür in den Schuppen und fuhr, ohne mir die Hände zu waschen, los.
Ich zwang mich dazu, auf die Straße zu achten, aber im unteren Teil meines Blickfeldes krallten sich zwei erdige Monster-Pranken am Lenkrad fest, die nicht mir zu gehören schienen und trotzdem jede Kurve kannten und mich sicher nach Hause manövrierten.
The final countdown
Auf meinem Schulweg fühlte ich mich zunehmend unwohl. Das von mir einst so geliebte Spektakel der Patienten stieß mich mehr und mehr ab. Der Grund dafür ist mir bis heute rätselhaft. Nie hatte ich mich vor deformierten Gesichtern, Hasenscharten oder Blutschwämmen sonderlich gegraust, im Gegenteil, mich hatte das alles immer begeistert und in seinem alltäglichen Wahnwitz geborgen umfangen. Doch jetzt entwickelte ich eine Ablehnung, ja manchmal einen regelrechten Ekel, der mich sehr überraschte. Früher hatte ich auf meinen Wegen über das Psychiatriegelände stets nach den Patienten Ausschau gehalten, jetzt wandte ich immer öfter erschrocken den Blick ab. Kaum ertrug ich die im Gras vor sich hin vegetierenden Behinderten, die mir zu nahe kommenden Gestalten, die Geruchsmischung aus Großküchen-Essen, gewienertem Linoleum, Putzmitteln und menschlichen Ausdünstungen, die schon immer die Anstaltsluft erfüllt hatte. Sturen Blicks durchquerte ich auf direktem Weg das Gelände und atmete erst auf, wenn ich eines der Anstaltstore durchschritten hatte. Zu Hause war ich so selten es ging.
Mir war von Anfang an klar gewesen, dass es anders sein würde als eine Silvesterparty in der Stadt, bei einem meiner Freunde. Verschiedene Einladungen hatte ich ausgeschlagen. Mehrmals hatte ich auf die Frage »Du willst da echt hin?« geantwortet: »Ja klar. Warum denn nicht? Ist doch mal was anderes.«
Erst vor sechs Wochen hatte ich meinen Führerschein gemacht, und seit einer Woche durfte ich mit dem Auto meines Vaters alleine unterwegs sein. Das Freiheitsgefühl dieser ersten Ausflüge ans Meer, mit eigener Musik und nur einer Hand am Steuer, hatte mich glücklich gemacht. Ich war ein vorsichtiger, fast schon ängstlicher Fahrer. Die schnurgeraden Straßen aber, die durch das platte Land zur Nordsee führten, hatten mir Selbstvertrauen gegeben. Meine Eltern fanden die Idee trotzdem nicht gut, ausgerechnet in der Silvesternacht zu einer Party ins zwanzig Kilometer entfernte Eggebek zu fahren. »Was willst du denn in diesem Dorf?«, hatte mich mein Vater gefragt, »da kennst du doch niemanden. Und trinken darfst du auch nichts. Das musst du mir versprechen!«
Ich kannte wirklich niemanden, nur das Mädchen, das mich eingeladen hatte. Sie hieß Friederike, und ich hatte sie bei einem Volleyballturnier kennengelernt. Ich war selbst kein Volleyballer, hatte aber den zwischen verschiedenen Schulen ausgetragenen Spielen in unserer Turnhalle zugesehen. Friederike kam von der Realschule, auf die wir vom Gymnasium stets etwas herabsahen. Mir war dieser Dünkel allerdings völlig abhandengekommen, da meine schulischen Leistungen so miserabel waren, dass Friederikes Schule schon sehr bald auch meine Schule sein könnte.
Die Mannschaft, in der sie spielte, war sehr viel besser als unsere, und wir verloren glatt in null zu drei Sätzen. Friederike, das gefiel mir sofort, nahm die Sache nicht besonders ernst. Ihre Mitspielerinnen klatschten sich nach jedem Gewinnpunkt gegenseitig ab und gaben sich kleine aufmunternde Klapse auf die sehr eng sitzenden Frotteehosen. Friederike aber grinste, selbst wenn sie einen hundertprozentigen Schmetterball ins Seitenaus drosch. Sie machte die spektakulärsten Punkte und die haarsträubendsten Fehler. Sie war mit Abstand die Beste und die Schlechteste auf dem Feld.
Zwischen zwei Spielen ging ich zu ihr. Sie saß alleine auf einer langen Turnhallenbank, hörte Walkman und schüttelte ihre Waden aus. Als ich vor ihr stand, war ich überrascht, wie laut und hart die Musik aus dem Kopfhörer direkt in ihr Ohr
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