Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)
Versuche, diese Einschläferung würdevoll über die Bühne zu bringen, machten unsere Lügen, unser Dilettantismus zunichte. Davon, hier weiterhin Andacht und eine dem Tod angemessene Stimmung zu zelebrieren, hatte sie nun eindeutig genug. Sie rammte dem Hund die tödliche Spritze in den Bauch, und mit einem gleichmäßigen Daumendruck presste sie ihm das Gift in den Körper.
Keine zehn Sekunden später hörte unser Hund auf zu atmen. Seine Zunge glitt zwischen den Lefzen aus dem Maul und lag nass und riesig vor seiner schwarzen Schnauze. Kein Zittern war durch seine Glieder geströmt, kein Pfotenballen hatte sich auch nur einen Millimeter bewegt. Dass sich das Leben so klammheimlich davonmachen würde, hätte ich nicht für möglich gehalten.
Die Ärztin hatte ihre Milde schon wiedergefunden, strich dem toten Tier über den Rücken und drückte ihm dann in schneller Folge mehrere mit Luft gefüllte Spritzen in eine Ader am Vorderlauf. »Sollen wir uns hier um sie kümmern oder wollen Sie sie mitnehmen? Eigentlich ist sie zu groß, um sie im Garten zu begraben. Aber ich würde eine Ausnahme machen.« Meine Mutter weinte, sah flehentlich zu mir hinüber. »Wir nehmen sie natürlich mit«, sagte ich, ohne die geringste Ahnung zu haben, was das bedeuten würde.
Zu dritt trugen wir den Hundeleichnahm zum Auto. Das war gar nicht so einfach. Mehrmals drohte er uns zu entgleiten, so schwer und eigenartig gelenkig war der Kadaver. Weil wir es möglichst schnell von der Praxis bis zum Auto schaffen wollten, stellten wir uns noch ungeschickter an. Ich kam mir wie ein Verbrecher vor, wie ein Mörder, der, tief verstrickt in sein Unglück, gemeinsam mit zwei wesentlich älteren Frauen eine Leiche entsorgt. Die einzig praktikable Transportlösung war eine grauenhafte. Ich als Kräftigster des Killerkommandos hielt mit je einer Hand die Hinterläufe, meine Mutter das rechte Vorderbein, die Tierärztin das linke Vorderbein. Die weichen Pfotenballen des Hundes, zwischen denen, da er so selten herumlief, lange Haare gewachsen waren, zeigten nach oben, und obwohl ich ein Teil dieses Trios war, konnte ich mir genau vorstellen, wie das, was wir da gerade taten, aussehen musste. Wie ein Schlachtvieh trugen wir unseren Hund über den Gehweg. Kurz sah ich das irritierte Gesicht der Kioskverkäuferin, bei der ich vor einer Viertelstunde das Bounty gekauft und direkt vor ihrem Laden an den fidelen Hund verfüttert hatte. Vor mir wabbelte der Gebärmutterkrebs herum. Da es uns nicht gelang, den Hund hoch genug zu tragen, schleiften wir seinen tief herabhängenden Kopf, die Schnauze, die Ohren über den Asphalt. Je höher ich ihn hinten zog, desto schwerer wurde es für meine Mutter und die Tierärztin. Mit einem letzten Schwung, der Kopf schlug dumpf gegen das Nummernschild, wuchteten wir den Hund, unseren über alles geliebten Hund, den Hund meines Bruders, meinen Blutsbruder, in den Kofferraum des Autos. Die Ärztin sah sich wie ertappt um, warf uns einen verschwörerischen Blick zu und rannte auf ihren flinken Beinen davon. Einfach davon. Diese Frau, dachte ich, wird auch noch mit neunzig so rennen können und jeden Bus bekommen.
Ich setzte mich hinters Steuer und meine Mutter sich auf den Beifahrersitz. Sie klappte die Sonnenblende herab und betrachtete sich in dem kleinen Spiegelchen. Meine Mutter sah sich einfach nur an. Malte nicht ihre Lippen nach, nahm keinen Kamm aus dem Handschuhfach, zog nicht ihre Stirn glatt. Sie sah sich selbst beim Sprechen zu: »So, und was machen wir jetzt?« Ich überlegte. Es gab nur eine Lösung: »Wir fahren sie raus aufs Land und beerdigen sie da im Garten. Hier bei uns geht’s nicht. Sie ist wirklich zu groß!« Meine Mutter sah auf die grün leuchtende Digitaluhr über den Armaturen: »Das müssen wir morgen machen. Wie lange hast du Schule? Ich hab gleich noch zwei Behandlungen.« »Spinnst du? Der Hund kann doch nicht über Nacht im Kofferraum bleiben.« »Das stimmt. Wir könnten ihn mit reinnehmen und dann morgen …« »Das ist doch Quatsch, Mama. Wir können den doch nicht immer hin und her schleppen. Kannst du da nicht absagen?« Sie schüttelte den Kopf. Konnte oder wollte sie nicht? »Dann mach ich es eben allein. Wo musst du hin?« Ich brachte sie durch die Stadt zu ihrem Patienten. Bevor sie in der Haustür verschwand, hatte sie den Kofferraum einen Spalt geöffnet, die Hand hineingesteckt und kurz die Augen geschlossen. Ich fuhr los, ließ die Kleinstadt hinter mir und machte mich
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