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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Dreh-Thermostat. »Dass die da noch immer hängt?«, sagte ich zu ihm. »Ist doch schön. Muss doch nicht immer gleich alles weggeworfen werden. Ich freu mich, wenn ich sie sehe.« Schon dieser erste Wortwechsel offenbarte, wie empfindlich er geworden war, wie in jedem Satz Zukunft, Verlust und Vergangenheit unheilvoll mitschwangen und die Bedeutungen des Gesagten verschoben. Er ging vor mir her durch den Flur, und ich sah, dass er leicht humpelte. Im Wohnzimmer ließ er sich in den Sessel fallen. »Und war deine Reise gut?« »Ja, alles gut. Obwohl es doch immer viel weiter ist, als ich vorher denke.« »Ja, tut mir leid, dass ich dich nicht vom Bahnhof abgeholt habe.« »Kein Problem, ich bin gerne gelaufen.« »Ja … blöd …, aber ich komm so schwer aus dem Autositz hoch.«
    Auf der Fensterbank entdeckte ich zu meiner völligen Überraschung neben den Bildern meines verunglückten Bruders, meines übrig gebliebenen Bruders und von mir in Laramie auch eines meiner Mutter. Was machte ihr Bild dort, dachte ich. Es zeigte sie mit meinem Vater bei einem Familienfest. Er steht vor einer reich gedeckten Tafel und hält eine Rede. In den Händen hat er eine sogenannte Semmel-Sonne, verschiedenste mit Körnern bestreute Brötchen bilden eine Scheibe. Meine Mutter schaut zu ihm auf, strahlt, dabei lehnt ihr Kopf an seinem prachtvollen Bauch.
    Beim Essen saßen wir zu zweit am riesigen Familientisch und gaben uns alle Mühe, durch angeregtes Erzählen und Nachfragen von den verwaisten Stühlen nicht niedergedrückt zu werden. Es gab Kartoffelbrei und Frikadellen. Beides kämpfte in einer überwürzt dunklen Sauce ums geschmackliche Überleben. Dazu aufgeplatzte Erbsen. Hatte er das selbst gekocht?
    »Was sind denn das für Teller?«, fragte ich ihn. »Schmeckt es nicht? Ich bekomm das Essen jetzt von oben!« Von oben bedeutete aus der Großküche der Psychiatrie. Die Teller waren dreigeteilt, und erst jetzt begriff ich, dass Krankenhausessen auf Krankenhausgeschirr vor uns stand. »Schmeckt dir das?«, wollte ich von ihm wissen. »Ach, man gewöhnt sich dran. Ich schaff das einfach nicht: einkaufen, kochen, sich immer überlegen, was es geben soll.« Ich erzählte ihm von Kassel, wo ich jetzt wohnte, und wie es mir mit meiner Arbeit ging. Doch der Faden, der meine Erzählung mit seinen Fragen verband, wurde dünner und dünner.
    »Komm mal mit, ich will dir was zeigen. Du wirst staunen!«, sagte mein Vater, um nicht gänzlich zu verstummen. Wir gingen auf die Terrasse hinaus. Überall standen Blumenkübel herum. »Hast du das alles gepflanzt?«, fragte ich ihn. »Ja, ja. Ich muss ja irgendwas machen. Hier schau mal, ich hab sogar Kletterbohnen. Die kommen gut. Aber das meine ich nicht. Komm mit.« Wir gingen den Weg um das Haus herum zum hinteren Garten. Dort an der Hauswand stand, auf einem Gestell aufgebockt, eine klobige Holzkiste, die sich beim Näherkommen als perfekt gezimmerter Hasenstall entpuppte. »Wo hast du den denn her?« »Haben sie mir oben in der Tischlerei gemacht. Schau mal.« Ich trat vor den Maschendraht. Im Stroh lagen zwei zufrieden an Löwenzahnblättern mümmelnde Hasen. Der eine pechschwarz, der andere sandfarben. »Die sind ja nett! Seit wann hast du die?« »Zwei Wochen.« Er öffnete eines der Stalltürchen, packte den Schwarzen bei den Löffeln und hob ihn hinaus. Für einen Moment hing der Hase lang und dürr in der Luft, doch schon im nächsten Moment hatte ihn sich mein Vater auf den Unterarm gesetzt. Er schmiegte sich an seinen Bauch. Mein Vater streichelte ihm über den Kopf, die angelegten Ohren. »Ich hatte ja als Kind welche. Richtig viele.« »Wie heißen die denn?« Er sah hinunter auf das flach atmende Tier. Die Streichelbewegungen meines Vaters, die über den Kopf und das Rückgrat gleitende Hand, schwappten als Fellwelle durch den biegsamen Hasenkörper. »Black und Decker.« »Wie bitte?« Er grinste, und für einen Augenblick war sie wieder da, seine propere, von leichtem Bluthochdruck befeuerte Lebensfreude. »Sind doch gute Namen. Na los, rein mit dir.« Sorgsam verschloss er den Stall. »Bis später, Black und Decker!«
    Mein Vater war schon immer ein großer Namensgeber gewesen. Meine Mutter nannte er, wenn er sie nackt sah, der blanke Hans – was ursprünglich eine Umschreibung der Nordsee bei Windstille war. Irgendwann fiel dann das »blank« dem Alltag zum Opfer, und er nannte sie nur noch Hans. Meine Mutter war sich nie ganz sicher, ob sie es lustig finden sollte oder

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