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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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ob es eine Unverschämtheit war. Absonderlich klang es allemal: »Hermann, hast du meinen Autoschlüssel gesehen?« »Nein, Hans, tut mir leid.«
    Wir gingen zurück ins Haus. »So, ich leg mich ein wenig hin. Machst du die Küche?« Von fünf Tellern, fünf Gläsern, fünf Messern, fünf Gabeln und einem Napf zu zwei Tellern und zwei Gläsern – das geht nicht spurlos an der Geräuschkulisse des Tischabdeckens vorbei. Im ersten Moment hatte ich den Eindruck gehabt, alles wäre so wie immer, aber dann fielen mir mehr und mehr Dinge auf, die von der veränderten Situation meines Vaters und des Hauses Kunde taten. Mein Bett war nicht bezogen. Schon immer war in meiner Familie nach einer Reise oder längerer Abwesenheit das frisch bezogene Bett ein unausgesprochener Willkommensgruß gewesen. Sich nach Wochen in der Ferne – sei es durch eine Rucksackreise oder das Studium in einer anderen Stadt – wieder in das vertraut duftende Bett fallen zu lassen, war für mich stets wie ein Versprechen, dass ich selbst zwar aufbrechen und mein Zuhause hinter mir lassen, der Ort aber unveränderlich und fest meiner harren würde. Mir war klar, dass ich kein Anrecht auf das frisch bezogene Bett hatte, dass es für meinen wieder erkrankten Vater eine Anstrengung bedeutet hätte, die es für mich nicht im Geringsten war, und doch war ich enttäuscht über das uneinladende, mich zu einem Fremden machende Bett. Missmutig nahm ich Wäsche aus dem klobigen Schrank im Flur und spannte das Laken über die Matratze, die voller widerlicher Flecken war, von denen ich nichts gewusst hatte und deren Herkunft mir ein Rätsel war.
    Eine andere Veränderung waren die ungelesenen Zeitungen, die sich um den Ohrensessel herum und an verschiedenen anderen Orten stapelten. Immer hatte mein Vater eine Zeitung so gelesen, dass man es ihr danach auch ansah. Egal, ob der Politik-, Wirtschafts-, Sport- oder Feuilletonteil, jede einzelne Zeile wurde sorgfältig studiert und sogar den Anzeigenteil las er ganz. Es konnte vorkommen, dass er sich die dicke, fette Sonntagsausgabe einer Tageszeitung auf die Oberschenkel legte, sich wie ein Pianist vor einem anspruchsvollen Klavierkonzert die Hände rieb, die Finger lockerte und feierlich die erste Seite auffächerte. Oft hatte er sich über den Zeitmangel beschwert. »Wenn ich pensioniert bin, werde ich alles noch viel genauer lesen. Unter einem Berg von Zeitungen und Büchern werde ich ganze Tage verschwinden. Wie unter den riesigen Findlingen eines Hünengrabes werde ich mich verstecken und lesen, lesen, lesen!« Doch jetzt, da er alle Zeit der Welt hatte, schien sein Interesse erlahmt zu sein. Kompakt und unangetastet lagen die Zeitungen da.
    Am Nachmittag gingen wir gemeinsam in die Stadt. Ich hakte mich bei ihm ein, und dadurch, dass ich jetzt Seite an Seite mit ihm ging, spürte ich sein Humpeln unmittelbar an meiner Hüfte. Er stützte sich ein wenig auf mich, und so durchwanderten wir die Einkaufsstraße. »Es ist doch eigenartig«, sagte ich zu ihm, »obwohl sich hier viel verändert hat, sieht immer noch alles gleich aus! Jetzt haben sie alles neu gemacht, schöneres Pflaster, nettere Laternen, die Fassaden gestrichen, aber gebracht hat es alles nichts. Der Mief sitzt irgendwie tiefer.«
    Er antwortete nicht direkt. »Für mich war es damals eine unglaubliche Herausforderung, den Hesterberg zu übernehmen. Ich war der jüngste Direktor eines Landes-Krankenhauses in ganz Deutschland. Und ich hab da wirklich viel geschafft. Die Schule, die neue Klinik. Aber du hast natürlich recht, ich wundere mich auch, dass das hier der Ort ist, an dem ich mehr als mein halbes Leben verbracht habe.«
    Alle paar Meter wurde er gegrüßt, und er versuchte, so wenig zu hinken wie möglich. »Brauchst du irgendwas?«, fragte ich ihn. Er schüttelte den Kopf. Im Schaufenster von Radio Voigt, dem Elektro-Fachhandel der Stadt, sahen wir uns die Auslage an. »Schau mal, mein Lieber, das da ist ein Weltempfänger.« »Was ist das?«, fragte ich, obwohl ich es wusste. »Damit kannst du auf allen Wellen der Welt alle Sender empfangen, die es gibt.« »Aber was hat man denn davon, wenn man die Sprachen nicht kann?« »Es gibt viel mehr deutsche Sender, als du denkst. In Südafrika, oder neulich hab ich über eine Radiostation in Alma-Ata gelesen, die auch auf Deutsch senden!«
    Wir kamen an einem Schaufenster vorbei, dessen gesamte Fläche, inklusive der Seitenwände, über und über mit Messern in allen Größen dekoriert war.

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