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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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selbst so genäht worden war, der feste Stoff die Hügel formte. Sie sah mich an: »Und du? Äh, Sie? Oh, Entschuldigung, was wünschen Sie?« »Sie können gerne Du zu mir sagen!« Sie lachte, »Gut, dann also: Worauf hast du Lust? Auch die Grillplatte?« Ich zögerte, da ich mir eigentlich etwas anderes ausgesucht hatte. Aber plötzlich kam es mir so vor, als müsste ich mich durch die Bestellung der Grillplatte gegen meinen Vater behaupten, als müsste ich jetzt in diesem Moment beweisen, dass ich ein ebenso grandioser Fleischfresser war wie er. Auch ich wollte der Kellnerin gefallen, und dafür bedurfte es ganz offensichtlich einer herzhaften Bestellung. »Ich nehme …«, ich besann mich in letzter Sekunde, »die Lammspieße mit Reis und auch«, ich versuchte den Blick meines Vaters zu imitieren, »ein Bier. Ein großes!«
    Sie klappte die Speisekarten zu und eilte durch die eng gestellten Tische davon. Wir blickten ihr beide nach. Es sah toll aus, wie sie scheinbar nur durch ihren Hüftschwung die Richtung änderte und die Tischkanten umtanzte. Der Saum des Kleides strich hörbar über den Boden, und das Rauschen mischte sich dezent unter das Stimmengewirr der anderen Gäste. Mein Vater sah ihr unverblümt hinterher, bis sie durch die Schwingtür in der Küche verschwand.
    Wir schwiegen, sahen übers Wasser, auf dem vereinzelte Boote trotz ihrer leicht geblähten Segel nicht von der Stelle zu kommen schienen. Dass mein Vater der Kellnerin hinterhergeglotzt hatte, ärgerte mich. Immer schon hatte er, egal wo man mit ihm war, jeder Frau auf den Hintern, die Brüste, die Beine gesehen. Am schlimmsten allerdings fand ich es, wenn er sich nicht zu schade dafür war, sich nach einer Frau, die an ihm vorbeiging, umzudrehen und ihr hinterherzugaffen. Wie gut ich das kannte, wie genau ich das schon vorher wusste, wenn ich eine Frau auf uns zukommen sah, von der ich sicher war, dass sie ihm gefallen würde. Kaum war sie an uns vorbei, blieb er stehen, hielt kurz inne und drehte sich um. Dabei tat er so – obwohl ihm völlig klar war, dass niemand, weder meine Mutter noch meine Brüder, im Zweifel darüber waren, dass es um die Frau ging –, als wäre er wie in Gedanken verloren, als hätte er etwas in der Richtung, aus der wir kamen, vergessen. Er kaschierte seinen begehrlichen Blick auf den Arsch einer dahergelaufenen Kleinstadt-Tussi mit professoraler Verträumtheit. Es war so plump, dass einem nichts anderes übrig blieb, als es zu übersehen. Und genau das wusste mein Vater. Dass er das aber jetzt, da er krank war, da er nur noch eine Niere hatte, da quer über seinen Bauch eine rubinrote Reißverschlussnarbe verlief und in seinem Bein ein tödlicher Ableger wucherte, immer noch tat, kam mir endgültig armselig, ja sogar würdelos vor. Befreit einen denn, überlegte ich mit Blick auf den Wiking-Turm, so eine Krankheit von nichts? Könnten da nicht diese ganzen schalen Reflexe von einem abfallen und man zu etwas anderem, Neuem gelangen? Bleibt denn immer alles beim Alten? Muss das so sein, dass selbst wenn der Tod näher rückt, man sich nicht mehr selbst in eine offene Zukunft hineinbewegt, sondern sich etwas unerbittlich aus der Zukunft auf einen zubewegt, immer noch alles mickerig und klein bleibt? Vielleicht schämte ich mich auch nur einfach, weil sie auch mir gefiel und ich ja selbst, genau wie er, in dieses Hinterhergaffen versunken gewesen war.
    Sie kam aus der Küche und stellte sich hinter den Tresen. Mit der einen Hand hielt sie sich die Haare im Nacken hoch, um sich ein wenig Abkühlung zu verschaffen, mit der anderen zapfte sie das Bier. Sie sah zu uns hinüber, durch das ganze Lokal traf uns ihr Blick. Sie hob das erste Glas hoch und tat etwas Aberwitziges: Sie hielt es sich vor den Mund und blies den über den Rand bauschenden Schaum in die Luft. Einzelne Bierschaumfetzen segelten auf den Tresen nieder. Darauf füllte sie das Glas ganz auf. Mein Vater und ich sahen uns an: »Hast du das gesehen?«, flüsterte er, »die hat den Schaum einfach aus dem Glas gepustet?« »Vielleicht ist das auf dem Balkan ganz normal!«, überlegte ich laut. Er lachte und sagte: »Das wäre ja toll. Ich liebe den Balkan!«
    Nachdem sie auch das zweite Glas gezapft, gepustet und gefüllt hatte, machte sie sich wieder auf den Weg. Ihr Wiederkommen war noch sehenswerter als ihr erstes Verschwinden. Hoch oben balancierte sie das Tablett, das Luftlinie auf uns zuschwebte, während ihre Hüften noch ausholender um die sitzenden

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