Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)
Milchkanne. Bier eine Mark, stand auf dem zerbeulten Metall. »Ich hab mein Geld im Auto. Hol ich gleich!«, log ich, hoffte aber, in der Ablage etwas zu finden.
Auf dem Weg nach draußen begegnete ich im Scheunentor Friederike und einem Mann, deutlich älter als ich, Mitte zwanzig. »Ah, da bist du ja!« Ich war froh sie zu sehen. »Hab dich schon gesucht!« Sie sah mich an, der Kerl neben ihr sah sie an. Friederike rief: »Ich hab gar nicht geglaubt, dass du kommst! Wahnsinn, Alter, bist du schon lange da?« »Nee, zwanzig Minuten!« Der Typ neben ihr starrte mich an, sagte: »Ich hol mir mal ein Bier!«, aber es klang wie »Wer bist du denn, Arschloch?«. Er ging an mir vorbei und rempelte mich gekonnt mit der Schulter an. Friederike und ich sahen uns an. Sie deutete mit dem Kopf zur Seite, und ich folgte ihr ein paar Schritte neben die Scheune. Hier war es viel ruhiger – sternenklar und noch kälter. »Ist das eigentlich deine Party?« »Nee, Quatsch. Wie kommst du denn dadrauf?« »Klang irgendwie so.« »Frierst du nicht?« Sie sah mich besorgt an. »Nee, geht schon.« Sie nahm meine Hände. »Alter ey, die sind ja eiskalt.« Jemand rief ihren Namen. »Ich bin hier!« Der Schulterrempler kam, nahm sie am Handgelenk und sagte zu mir: »Abfahrt!« Friederike riss mit einer ruckartigen Bewegung ihre Hand los: »Sag mal, spinnst du?« Er stellte sich direkt vor mich und drückte seine Stirn gegen meine: »Abfahrt, Alter!« Friederike versuchte, ihn wegzuziehen: »Alter, tickst du noch ganz richtig?« Seine warme Nasenspitze berührte meine gefrorene, und er blies mir lauwarmen Bieratem in den Mund. Er schob mich mit seiner Stirn vor sich her. Und zum dritten Mal die Ansage: »Jetzt is Schluss hier. Jetzt is Abfahrt, Alter!«
Zwei Typen hakten ihn unter und zogen ihn weg. Bis er um die Ecke in der Scheune war, ließ er mich, weiße Wölkchen schnaubend, nicht aus den Augen. Ich zitterte. Vor Kälte, vor Angst. Zitternde Knie und klappernde Zähne. »Der spinnt echt!«, Friederike lachte. Ich mochte dieses Lachen. Es klang so nach: alles ist möglich, und zwar jetzt. »Wir sind eigentlich nicht mehr zusammen! Aber Alter, der Macker schnallt das einfach nicht!«
Ein Mädchen kam: »Freddy, komm jetzt mal, Volki macht Stress.« Wir gingen in die Scheune. Volki hockte auf einer Matratze und pöbelte unverständlich gegen die Musik an. Das schielende Mädchen mit den Ohrenschützern tanzte als Einzige. Für einen kurzen Moment setzte ich mich auf die Lehne eines der Sofas. Genau zwischen meinen Oberschenkeln war ein Loch im Stoff. Ich tastete die Ränder ab und steckte meinen Zeigefinger ein wenig hinein. Unter dem Bezug eine dünne Schicht faseriges Füllmaterial. Ich konnte meinen ganzen Finger ins Sofa schieben. War das ein Mäuseloch? Ich zog meine Hand zurück. Sah sie vor mir, die Mäuse im Sofainneren. In ihrem Nest. Wie auch sie unter der Musik litten und glaubten, ihre Mäusewelt würde im Lärm versinken. Friederike war zu Volki gegangen und beruhigte ihn.
Eine schnulzige Rockballade erfüllte die Scheune mit verzerrtem E-Gitarren-Gejammer. Viele kannten das Lied, rafften sich auf und tanzten. Auch Friederike und Volker, eng umschlungen, sie sehr aufrecht ihn stützend. Er sah ganz lieb aus. Hatte den Kopf auf ihren Kopf gelegt und grinste belämmert vor sich hin.
Ich ging hinaus und setzte mich ins Auto. Mir war so kalt, dass ich den Schlüssel lange nicht ins Zündschloss bekam. Ich wollte gerade losfahren, als jemand an mein Fenster klopfte. »Alter, du hast dein Bier nicht bezahlt. Einfach abhauen is nicht!« »Oh ja, stimmt. Tut mir leid.« Ich durchstöberte die Ablagen, das Handschuhfach. Irgendwelche Typen standen ums Auto herum und wippten mit den Stiefeln auf der Stoßstange. Ich fand ein Markstück und reichte es heraus, startete den Wagen und wollte losfahren. Jemand schlug aufs Autodach, andere versperrten mir den Weg. Friederike stand in der Toreinfahrt und rief etwas. Sie gingen zur Seite, und ich fuhr vom Hofplatz.
Sobald ich die Haupstraße erreicht hatte, bog ich in eine Bushaltestelle ein und versuchte mich zu beruhigen. »Was für Arschlöcher sind das denn?«, rief ich. Und noch mal, dabei verzweifeltes Halten und Zerren am Lenkrad: »Arschlöcher! Mann, was für Idioten!« Ich hielt meine Tiefkühlhände über die Lüftungsschlitze. Die Luft wurde nur langsam wärmer. Erst jetzt sah ich, wie spät es war: 23 Uhr 28. Wenn ich mich beeilte, wäre ich noch vor zwölf bei einer der
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