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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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besser, da er seine schönen, von den Fischen fettigen Lippen nie geschlossen hatte –, bei diesem Geburtstagsfrühstück sagte er zu uns: »Heute werde ich vierzig. Vor diesem Geburtstag habe ich mich immer gefürchtet. Auch wenn ich die Formulierung ›runder Geburtstag‹ bescheuert finde, wird dieser sogenannte ›runde Geburtstag‹ der letzte in meinem Leben sein, bei dem ich darauf hoffen kann, noch einmal doppelt so alt zu werden. Vielleicht werde ich ja achtzig. Ich würde sehr gerne achtzig werden. Mein nächster runder Geburtstag ist der fünfzigste. Hundert ist dann wohl doch etwas zu viel verlangt. Kein Mensch wird hundert. Zu Hundertjährigen kommt die Lokalzeitung, man muss das Geheimnis seines Alterns preisgeben und ohne Zähne ›Ich habe jeden Tag einen Apfel gegessen‹ nuscheln. Tizian ist angeblich hundert geworden. Habt ihr das gewusst? Ich wäre mit achtzig hochzufrieden.«
    Mein Vater hielt kurz inne, fuhr sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe, über seinen gelblichen Schnauzer: »Ich habe eine Neuigkeit für euch, eine Sensation: In zwei Monaten wird die neue Klinik fertig sein. Endlich. Und wisst ihr, wer sich zur Einweihung angekündigt hat? Seine Hoheit, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Dr. Gerhard Stoltenberg höchstpersönlich, wird uns die Ehre erweisen.« »Wirklich?« Meine Mutter strahlte. »Er kommt? Wie hast du das geschafft? Da werde ich mir etwas ganz Besonderes überlegen.« »Ja, und auch ihr drei müsst unbedingt dabei sein. Das soll ein netter Mann sein.« Mein mittlerer Bruder sagte: »Der große Klare aus dem Norden. So wird er doch genannt, oder?« »Genau wie der Schnaps – Bommerlunder!«, gab ihm mein Vater recht und sprach weiter: »Das wird ein wahrhaft großer Tag. Aber das ist noch nicht alles. Ich habe beschlossen, ein paar Dinge in meinem Leben zu ändern. Ich glaube, dass so ein vierzigster Geburtstag dafür der richtige Anlass ist. Vielleicht sogar meine letzte Chance.«
    Wir saßen um den Frühstückstisch herum und hörten gespannt zu. Sogar unser Hund war verwundert über den euphorischen Tonfall meines Vaters und saß still neben mir. Dort saß er bei jeder Mahlzeit, da mir häufig etwas hinunterfiel, und lauschte. Er war noch nicht ganz ausgewachsen, aber die Größe seiner puscheligen Pfoten war eine deutliche Wachstums-Prophezeiung.
    »Das Wichtigste, um diese achtzig Jahre erreichen zu können, um mir eine realistische Chance auf dieses gesegnete Alter zu eröffnen, ist ganz offensichtlich – da wird hier sicher keiner vehement Einspruch erheben – ein gesünderes Leben. Ja, und deshalb habe ich mich dazu entschlossen, mit dem Rauchen aufzuhören! Ich möchte aber gleich dazu sagen, dass ich an meinem achtzigsten Geburtstag, und zwar am Morgen meines achtzigsten Geburtstages – wer weiß, vielleicht sitzen wir da auch alle so zusammen wie jetzt –, wieder mit dem Rauchen anfangen werde. Ich höre heute also nicht endgültig auf. Ich lege nur eine vierzigjährige Rauchpause ein. Und dünner möchte ich auch werden. Was schätzt ihr, was wiege ich?«
    Mein ältester Bruder tippte hundert Kilo, mein mittlerer Bruder fünfundneunzig, meine Mutter achtundneunzig und ich zweihundert. Mein Vater schluckte den Räucheraal hinunter, wischte sich über Mund und Schnauzbart, wodurch auf seinem Handrücken eine fischfettige Schneckenspur glänzte, und sagte lachend zu mir: »Ja, da hast du vollkommen recht. Ich wiege unglaubliche zweihundert Kilo. Absolut richtig. Ich fühle mich exakt so, als ob ich zweihundert Kilo wiegen würde. Ich muss euch etwas beichten. Wenn ich im Stehen pinkele, kann ich meinen Schwanz nicht mehr sehen.« Meine Brüder und ich schrien auf. Das taten wir immer, wenn mein Vater etwas Derartiges von sich gab. Wir schüttelten uns und spielten Ekel und Entsetzen. Meine Mutter rollte mit den Augen und sagte: »Womit wir wieder beim Thema wären.« Mein Vater war ein Meister darin, aus jedem Gegenstand etwas Anzügliches zu machen. Keine Gurke, keine Zucchini, die er sich nicht vor den Hosenstall hielt. Begegnete man ihm nackt auf dem Weg von der Dusche ins Kinderzimmer, hob er mehrmals schnell die Augenbrauen und grinste zweideutig. Wenn meine Mutter auf dem Wochenmarkt zum hakennasigen Händler sagte »Sie haben aber schöne große Eier heute!«, rannen meinem Vater tagelang, sobald er nur daran dachte, vor Lachen die Tränen über seine Hamsterbacken.
    »Ich wiege zur Zeit hundertundsechs Kilogramm!«, gestand er

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