Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
Vom Netzwerk:
entlarven.
    Die Unterschrift meines Vaters war ein jeden Tag unzählige Male hingekritzeltes Kürzel. Keinen einzigen Buchstaben konnte ich darin erkennen. Eine Unterschrift, da war ich mir sicher, brauchte Schwung. Aber mein Name war viel zu lang, um ihn im Ganzen zu bewältigen. Schon auf halber Strecke meines Vornamens verlor ich die Übersicht, und während des Nachnamens entglitt mir komplett die Kontrolle. Es sah jedes Mal aus, als wäre jemand kühn und gekonnt gestartet und hätte dann schlagartig zu schreiben verlernt. Meine Unterschrift endete in einer leblosen Linie. So wie bei einer Herzfrequenzmessung die schwächer ausschlagende Amplitude das nahende Ende ankündigt, so erstarb auch meine Unterschrift, und die letzten zwei Silben lagen flach und mausetot auf dem Papier.
    Erstaunlicherweise bekam ich aber auch diesmal wieder Bälle und Schläger. »Viel Spaß!«, wünschte mir der Pfleger, und ich durfte gehen. Der Minigolfplatz lag unter herrlichen Bäumen, die allerdings dazu führten, dass ich, bevor ich überhaupt spielen konnte, sämtliche Bahnen von Ästen und Laub reinigen musste. An diesem windigen Tag lag sogar noch mehr Zeug als sonst herum, und ich brauchte ewig, bis ich loslegen konnte. In den Baumkronen wehte der Wind, kein Mensch war weit und breit zu sehen. Ich legte den mittelharten Ball auf die Bahn Nummer eins. Eine einfache Gerade mit Loch am Ende im erweiterten Rund. Ich spielte meinen eigenen Sportreporter: »So, und schon geht es los. Wer wird heute vorne liegen? Er nimmt sich den Ball. Er hat sich viel für heute vorgenommen. Wird er den Bahnrekord knacken? Volle Konzentration und Ruhe bitte!« Ich schlug den Ball knapp am Loch vorbei. »Oh nein, wie konnte das passieren. Aber die Bahn ist auch wirklich Schrott. Dabei sah es so gut aus. Dieser herrliche Schwung!« Beim zweiten Versuch lochte ich ein. »Jaaa, was für ein Schlag! Das wird hier heute ein heißes Kopf-an-Kopf-Rennen.« Von Bahn zu Bahn wurde meine Reportage feuriger. Mit lauter Stimme verkündete ich: »Dieser Junge ist wirklich ein Genie!« Meine Ergebnisse trug ich in einen Block ein. Wenn ich zu schlecht war, erfand ich irgendwelche Widrigkeiten und durfte es erneut probieren. »Nein, bei diesem Wind kann kein Mensch spielen. Wiederholung!« oder »Die Wippe ist verbogen! Der Ball darf jetzt vom Champion direkt vors Loch gelegt werden!«.
    Einmal ärgerte ich mich und drosch den Ball mit voller Wucht gegen eine Bande, wodurch er aus der Bahn sprang und ich ihn ewig im Gras suchen musste. Ich war vollkommen in Gedanken versunken, als ich etwas wie von fern knirschen hörte. Ich hielt den Blick gesenkt. Kurze Pause. Doch da war es wieder. Ohne den Kopf zu heben, versuchte ich mich möglichst weit umzuschauen. Er stand beim Looping. Ich richtete mich auf. Er griff in die Tasche seines Bundeswehr-Parkas, zog einen Stift heraus und hielt ihn mir hin. Es war mein Tintenkiller, den ich seit dem Tag meiner Flucht vor ihm vermisst hatte. Ich wollte wegrennen, um mein Leben laufen, aber ich ging auf ihn zu. Es zog mich zu ihm. Gegen meinen Willen. Er sah mich einfach nur an, und ich ging Schritt für Schritt zu ihm, den Minigolfschläger fest in der Faust. Ich streckte meine Hand nach dem Tintenkiller aus. Für einen Moment hielt er ihn noch fest, obwohl ich zog. In diesem Augenblick fühlte ich seine ganze Kraft. Niemals, niemals wäre es möglich gewesen, diesen Stift gegen seinen Willen aus dieser Faust zu ziehen. Seine Kiefer malmten. Wollte er etwas sagen? Knirschte er Silben? Ganze Sätze? War das seine Sprache, die ich nicht beherrschte? Er öffnete die Hand, und ich trat den Rückzug an.
    Er beugte sich vornüber. Was macht er da, fragte ich mich. Nahm er Schwung, um aus dem Stand heraus auf mich draufzuspringen? Da entdeckte ich, dass vor ihm im Gras seine Glocken standen. Er begann mit der größeren. Schwenkte sie hin und her, am Körper entlang bis hoch über den Kopf. Dann kam die kleinere mit dem helleren Klang dazu, klinkte sich organisch in den Bewegungsablauf ein. Er läutete heftiger und nach und nach übertrugen sich die weit ausholenden Glockenschwünge auf seine Schultern, den Rücken, den Kopf. Er wurde immer mehr eins mit diesen schlenkernden Schwungkurven. Seine stattliche Brust begann sich zu verschrauben, sein Bauch zu kreisen. Ich sah gebannt diesem sich selbst wie einen riesigen Motor anwerfenden, startenden und lärmenden Mann zu. Er war so weit. Alles war in Bewegung. Ohrenbetäubend bimmelnd

Weitere Kostenlose Bücher