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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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grinste seinen Kartoffelbrei an, und meine Mutter sagte konsterniert: »Womit wir wieder beim Thema wären.« Meine Brüder hielten immer noch Staunen spielend ihre abmessenden Hände in die Luft. »Oh, guck mal, wer da ist! Dein gut bestückter Glockenkumpel.« Mein ältester Bruder nickte Richtung Fenster. Ich drehte mich um und sah den Glöckner, der sich wie so oft auf unser Mäuerchen gesetzt hatte und auf mich wartete.
    Zu dieser Zeit entdeckte ich im Dom unserer Stadt eine sicher drei Meter hohe Christophorus-Statue. Die Figur hatte einen wilden Bart aus dunklen Holzlocken und zu beiden Seiten standen wie Flügel die kunstvoll geschnitzten, im Wind schlagenden Mantelschöße ab. In Händen hielt der Fährmann einen langen, ihn weit überragenden Ast. Auf seinen Schultern saß das Jesuskind. Ohne die Geschichte von dem unter dem Gewicht des Passagiers stöhnenden Fährmann zu kennen, war ich fasziniert von dem hoch über mir reitenden Kind. Was für eine Aussicht es von diesem Platz aus haben musste, konnte ich mir nun gut vorstellen.

Der große Klare aus dem Norden
    Acht Wochen nach dem Geburtstag meines Vaters – er war tatsächlich schon etwas leichter geworden – war es dann endlich so weit.
    Seit über einer halben Stunde warteten wir schon auf Dr. Gerhard Stoltenberg, den amtierenden, jedoch kurz vor der Wahl stehenden Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein. Er hatte über seinen Sekretär der Sekretärin meines Vaters ausrichten lassen, dass er sich ein wenig verspäten würde. Doch wie lange dieses »ein wenig« dauern würde, wusste niemand. Die stellvertretende Direktorin hatte meinem Vater vorgeschlagen, noch einmal hineinzugehen und dann, sobald der Ministerpräsident vorfahren würde, wieder hinauszutreten. Das hatte mein Vater strikt abgelehnt: »Wie sieht denn das aus? Der fährt vor, kein Mensch da, und dann quetschen sich alle durch die Tür. Nein, wir müssen hierbleiben und auf ihn warten.« Um die dreißig Personen standen unter dem Vordach und drängten sich dichter zusammen, da es ein wenig zu regnen begonnen hatte. In der ersten Reihe standen mittig mein Vater, in seinem durch seine überfallartige Diät ausgetricksten, viel zu weiten Anzug, meine Mutter, frisch frisiert, mit hohen Schuhen, dadurch nach oben und unten verlängert, meine beiden älteren Brüder und ich. Direkt neben mir die sehr herbe stellvertretende Direktorin. Erst vor wenigen Monaten hatte ich plötzlich begriffen, dass sie kein Mann war. Hinter uns Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger. Etwas abseits, ungeschützt vom Vordach, eine Gruppe von Patienten, die zur Begrüßung singen sollte.
    Mein Vater sagte zur stellvertretenden Direktorin: »Wenn Stoltenberg nicht bald kommt und es noch stärker regnet, müssen wir die Patienten reinbringen.« So standen wir da, im kühlen Putz-, Beton- und Mörtelgeruch des mehrstöckigen Klinik-Neubaus, zu dessen Einweihung sich der Ministerpräsident angekündigt hatte. Dieser Neubau hatte in den letzten vier Jahren für meinen Vater eine riesige Rolle gespielt. Von der Idee zur Planung, von der Finanzierung zum Baubeginn: kein Mittagessen, kein Spaziergang, auf dem er nicht von den Fortschritten und auch Rückschlägen berichtet hätte.
    »Kann nicht deine Sekretärin den noch mal anrufen?«, schlug meine Mutter vor. »Vielleicht heißt ja ›ein wenig‹ auch in einer Stunde?« Doch mein Vater hatte plötzlich ganz andere Sorgen. »Guckt euch das an!« »Was ist denn?«, wunderte ich mich. »Das darf doch nicht wahr sein. Wir können den doch nicht durch den Matsch stiefeln lassen!« Mein Vater zeigte auf den Boden vor unseren Füßen. Da die Auffahrt noch nicht fertig war, würde der Minister nicht direkt vorfahren können, er würde ein kleines Stückchen laufen müssen. Nicht weit, knappe acht, neun Meter. Von der Straße bis unters Vordach.
    Tatsächlich hatte der feine doch stetige Regen die Auffahrt aufgeweicht. Mein mittlerer Bruder flüsterte: »Wie wäre es, wenn ihn die Patienten rübertragen?« Meine Mutter lachte. Doch mein Bruder hatte unterschätzt, wie sehr meinen Vater dieser Besuch erregte und wie angespannt er war. »Jetzt hör doch auf. Wir müssen irgendwas machen.« Er rief nach hinten: »Wir brauchen hier Bretter. Ganz schnell bitte. Hier ist alles nass. Warum ist diese Auffahrt eigentlich noch nicht fertig?« Ein Krankenpfleger ging ins Innere der Klinik und sprach mit dem Pförtner. Der zuckte mit den Schultern und griff zum Telefon.
    Von diesem

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