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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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hatte einen monströsen, Feuer speienden Auspuff und schwebte schwerelos über dem Katzengehirnhöhlenboden. Die Lunge war der Ort des Wetters. Kantige Kumuluswolken zogen in akribischer Formation über den Himmel. Das Weiß der Wolken war das Weiß des Papiers, penibel mit Blau ummalt. Vor dem Katzenmaul wartete eine Menschenmenge. Jeder dieser streichholzgroßen Männlein war in einer einzigen Farbe gemalt. Die Farbe ihrer Haut war dieselbe wie die ihrer Schuhe oder Haare. Nur durch das unterschiedlich feste Aufdrücken des Filzstiftes ergaben sich Abstufungen.
    Diese Farbmenschenarmee marschierte durch den Rachen in die Katze hinein, die Speiseröhre hinunter. Machte die Speiseröhre ein Looping, liefen sie kopfüber weiter – bis in den Magen der Katze. Hier fielen ihnen die Arme, die Beine und der Kopf ab. Dieses große Durcheinander von farbigen, amputierten Extremitäten wurde peristaltisch in den Darm weitergeleitet. Im Laufe der Verdauung setzten sich die Figuren neu zusammen – bis auf eine – und wurden schließlich, völlig wiederhergestellt, nun aber total bunt, ausgeschieden. Sie standen vor der Katzenschnauze meistens in Reih und Glied, verließen die Katze in alle Richtungen. Auf jedem seiner Bilder gab es einen Menschen, der unzerteilt, unverdaulich im Darm stehen blieb. Ich habe mich immer gefragt, wer das sein sollte. Er? Ich?
    Jedes Mal, wenn er mich besuchte, brachte er mir eines der Bilder mit. Von den Katzenbildern im Querschnitt habe ich leider keines mehr, aber einmal schenkte er mir etwas zum Geburtstag: Auf meinem festlich geschmückten Tisch lag etwas Großes, in Geschenkpapier eingepackt, und daneben ein kleiner Zettel, auf dem stand: »Von Ferdinand für meinen Freund. Katze von außen«.
    Er hatte mir eine Stofftierkatze gebastelt, sie aus den verschiedensten Teilen anderer Tiere zusammengenäht. Sie hatte mehrere Schwänze, zwei Köpfe, und aus ihrem Hals bohrte sich seitlich der Kopf eines Lamms heraus.
    Er beugte sich zu mir herüber und sprach mit gedämpfter, fast tonloser Stimme: »Ganz schön verrückt, ne?«

Ich bin zwei Öltanks
    Hin und wieder besuchte ich meinen Vater auf dem Heimweg von der Schule in der neuen Klinik. Er hatte ein Vorzimmer mit einer Sekretärin, ein Büro für das Organisatorische, ein Wartezimmer für seine Privatpatienten und meinen Lieblingsort: das Praxiszimmer. Oft war er nicht da, sondern irgendwo auf dem riesigen Gelände unterwegs, oder er hatte Sprechstunde. Dann durfte ich nicht lange bleiben, bekam ihn gar nicht zu Gesicht, da er nicht wollte, dass ich seine Patienten sah. Er hatte mir erklärt: »Du, da sind ja auch welche dabei, die du kennen könntest. Aus deiner Schule. Oder Kinder von Lehrern.« Das interessierte mich natürlich: »Wie, du behandelst Kinder von meinen Lehrern?« »Nein, das hab ich nur so als Beispiel gesagt. Aber es könnte durchaus sein.« »Ja, wen denn zum Beispiel?« »Niemand. Es war nur ein Beispiel. Du darfst aber trotzdem nicht in das Wartezimmer.«
    Am günstigsten war es für mich, wenn er in seinem Büro saß und Akten bearbeitete. Seine Sekretärin war eine hellwache, aufgekratzte Frau, deren riesige Ohrringe bis hinab zu den Schultern reichten und beim Tippen auf der Schreibmaschine nervös herumhüpften. Mir gegenüber war sie besonders überdreht und sprang, sobald ich das Vorzimmer betrat, auf, strahlte mich so sehr an, dass ich Sorge hatte, ihre Mundwinkel würden einreißen, und klopfte an die Tür meines Vaters: »Herr Professor, ihr Sohn ist da!« Ich trat ein, mein Vater sah kurz auf, sagte: »Setz dich, ich bin gleich fertig!« und arbeitete, so als wäre ich gar nicht anwesend, weiter. Das mochte ich.
    Schließlich klappte er den Aktendeckel zu: »Oh, was für ein schöner Besuch! Wie war’s in der Schule?« Etwas anderes als »Gut!« wollte er nicht hören. Nie hat sich mein Vater auch nur im Geringsten für mein Schulleben interessiert und geradezu stolz seine eigene Schullaufbahn als eine desaströse verklärt. »Darf ich rüber in die Praxis?«, bat ich ihn. »Na klar. Ich komm mit.« Seltsamerweise arbeitete er im Büro im Arztkittel, trug aber, wenn er den Patienten gegenübertrat, nur Hemd und Pullover.
    Wir gingen hinüber, an der Sekretärin vorbei. Ich mochte die Dinge, die mein Vater auf dem Praxistisch stehen hatte. Einen Klumpen Lava, in den ein dunkler Stein eingeschlossen war. Ein nachgemachtes, bläulich oxidiertes altägyptisches Operationsbesteck inklusive Hammer, Meißel und

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