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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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und her. »Holder Knabe im lockigen Haar …« Meinten sie mich? Ihre Augen schimmerten wie die sich in der überheizten Stationsluft mal nach links, dann wieder nach rechts drehenden Christbaumkugeln. Durch den seitlichen Schlitz ihrer Anstaltshemden hindurch sah ich die Wölbungen und Buchten ihrer nackten Körper. Auch einzelne verschorfte Stellen oder tiefe Kratzer in der hellen Haut. Sie bekamen jedes Jahr Puppen. Diese drehten sie langsam in den Händen und flüsterten ihnen Unverständliches in die Ohren.
    Nachdem wir drei Stunden lang eine Bescherung nach der nächsten absolviert hatten – ich hatte neun Stücke Torte gegessen und neun Gläser Cola getrunken –, gingen wir zum Psychiatrie-Gottesdienst in die Turnhalle. Auch hier wurde bereits hin und her gewippt, dass die Stühle jauchzten. Als der Pastor die Sperrholzkanzel betrat, brach kollektiver Jubel aus. Auch später immer wieder Jubel. Im Namen des Vaters – Jubel –, im Namen des Sohnes – Jubel –, im Namen des Heiligen Geistes – Ovationen! Immer wieder stürzten einzelne Patienten zur Kanzel und warfen sich dem Pastor in die Arme. »Ihr seid«, rief der Pastor durch sein viel zu laut eingestelltes Mikrofon, »ihr alle seid Gott herzlich willkommen!« Wieder tosender Applaus. Es war eine wirklich begeisterungsfähige Gemeinde. Zu den Weihnachtsliedern wurde sich untergehakt und geschunkelt oder einfach auf die Stühle geklettert, auf den Sitzflächen getanzt und geschrien. Die Turnhalle war völlig überfüllt. Selbst die Sprossenwände hingen voller Kranker. Diesen Geruch werde ich nie vergessen. Es roch nach Medizinbällen, Tannenzweigen und Spucke.
    Der Glöckner saß während des Gottesdienstes still da, überragte die Menge und wartete auf ein Zeichen des Pastors. Sobald dieser ihm zunickte, erhob er sich, im Turnsaal wurde es still, und er begann zu läuten. Hoch über den Köpfen schwang er seine festlich polierten Glocken. Die direkt unter ihm saßen, hielten sich die Ohren zu und duckten sich. Das war das Zeichen: Das Krippenspiel konnte nun endlich beginnen.
    Es wurde von Patienten aufgeführt, jedes Jahr von einer anderen Station. Oft endete dieses Krippenspiel in einer Katastrophe. Mal bekam Maria vor Aufregung einen Anfall und stürzte zuckend in die Krippe, oder der Esel schubste den Ochsen in die Dekoration. Mal holte einer der Heiligen Drei Könige, es war Melchior, seinen Schwanz heraus und onanierte mit seiner schwarz geschminkten Hand unter dem Beifall der Menge, oder die Hirten prügelten sich mit ihren Hirtenstäben. Aber sie spielten großartig. In der Mitte stand die Krippe, ein mit Tannenzweigen geschmücktes Gitterbett, in dem ein schwerstbehinderter Jesus lag.
    Natürlich war die Spielweise je nach Station völlig verschieden. Da der Psychiatriegottesdienst gemeinsam mit der Erwachsenenpsychiatrie gefeiert wurde, gab es auch Krippenspiele mit für immer eingesperrten Sexualstraftätern, sogar mit Mördern, bei denen hinter jedem Hirten sprungbereit ein riesiger Pfleger stand. Und sogar einen Josef in Handschellen und die Jungfrau Maria in der Zwangsjacke habe ich gesehen.
    Ein einziges Mal gab es auch in unserer Familie eine Weihnachtseskalation, einen nur wenige Sekunden andauernden gutbürgerlichen Gewaltausbruch. Dem eigentlichen Ereignis ging eine ausufernde Rede meines mittleren Bruders voraus, ausgelöst durch das eben ausgepackte Trivial-Pursuit-Spiel, in der er die Geschenkpraxis meiner Eltern anprangerte. Mein Bruder hatte sich einen Redestil angewöhnt, der vor Überheblichkeit strotzte und in seiner selbstverliebten Eloquenz reichlich nervte: »Warum schenkt ihr mir eigentlich nie das, was ich mir wünsche? Ich habe mehrmals mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass ich dieses Jahr zu Weihnachten gerne Bargeld bekommen hätte. Immer schenkt ihr einem Geschenke, die unterschwellig irgendeine pädagogische Absicht verfolgen. Solange ich denken kann, bekomme ich Geschenke, die mich irgendwie formen oder weiterbilden sollen. Mit Fischertechnik fing es an, um meine taktilen Fertigkeiten zu trainieren, dann immer Bücher, Bücher, Bücher!« Dabei las mein mittlerer Bruder alles, was er zwischen seine seltsam zarten Finger bekam. »Mit Schrecken erinnere ich mich daran, wie ich mir eine Eismaschine gewünscht und einen Füller bekommen habe. Ich habe von Unmengen selbst gemachtem Erdbeer- und Schokoladeneis geträumt, und dann lag da dieser Scheißfüller!«
    Nach dieser Ansprache packte meine Mutter das Geschenk

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