Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)
zusammenzubinden. Der Hund winselte, als ich mit den Zähnen und der freien Hand den Schnürsenkel zuzog, die stark blutenden Verletzungen einander berührten, riss sich los und rannte aufjaulend davon. Ich verfolgte ihn. Nun hatte er richtig Angst vor mir. Auf drei Beinen hoppelte er die Kellertreppe hoch. Ich hinterher. Er humpelte durch das Wohnzimmer und hinterließ eine Blutspur auf dem erst wenige Wochen alten ockerfarbenen Teppichboden.
Es gelang mir, ihn ins Badezimmer zu treiben und einzusperren. Ich verband meine Hand mit einem Küchenhandtuch. Was war zu tun? Ich musste den neuen Teppichboden retten. Mit Wasser versuchte ich, die Blutspuren herauszuwaschen, doch die Abdrücke wurden nur größer. Vorsichtig goss ich ein wenig Allzweckreiniger, Domestos, über das Blut und tatsächlich – es ging heraus. Ich arbeitete mich von Blutabdruck zu Blutabdruck. Doch als ich fertig war und mich umdrehte, war nicht nur das Blut weg, sondern auch die Farbe des Teppichs herausgeätzt. Meine Verzweiflung wuchs. Im Hintergrund jammerte der Hund. Ich rannte zum Badezimmer. Es sah aus wie nach einem Massaker. Was sollte ich zuerst machen? Die Blutorgie im Badezimmer beseitigen oder weiter an den verätzten Stellen im Teppich arbeiten?
Ich wollte gerade einen ersten Versuch mit brauner Schuhcreme unternehmen, als ich einen Schlüssel in der Haustür hörte. Das musste mein Vater sein. Ich rannte um die Ecke, wollte ihn, unter welchem Vorwand auch immer, bitten, noch mal wegzugehen. Doch als ich ihn sah, als ich sah, wie er mich ansah, brach ich zusammen. Heulend warf ich mich in seine Arme. Er trug mich in die Küche und setzte mich auf einen Stuhl. Versuchte zu verstehen, besah sich die Wunde: »Das muss genäht werden. Wie ist das denn passiert?« »Ich hab mich geschnitten«, sagte ich, »und … äh, Aika auch.« »Was soll das heißen: Aika auch?« »Wir waren im Keller und haben Blutsbrüderschaft gespielt.«
Mein Vater hörte den Hund im Badezimmer winseln. Er ging relativ gefasst weg und kam völlig fassungslos wieder. Er sah mich an, schüttelte eigenartig langsam den Kopf, und außer: »Sag mal …«, sagte er nichts. Ich musste zum Hund ins Bad. »Ihr bleibt hier so lange drinnen, bis ich wieder da bin.« So saßen wir da, beide blutend, und es kam mir vor, als würde der Hund meinem Blick ausweichen. Während wir warteten, lief unser Blut, füllte Fuge für Fuge, floss seltsam geschickt um die Ecken.
Und dann wurden wir beide von meinem Vater genäht. Wir bekamen jeder zwei Spritzen, Tetanus und eine lokale Betäubung. Er nähte unsere Wunden, erst die tiefere, noch immer stark blutende Verletzung des Hundes mit vier Stichen und dann meine mit drei Stichen. Ich erinnere mich an eine den Schmerz übertrumpfende Neidattacke, da der Hund mit mehr Stichen genäht wurde als ich. »Ob du das deinen Brüdern erzählst, würde ich mir sehr genau überlegen. Das behalten wir lieber für uns.«
Aber meine Brüder wollten es natürlich unbedingt wissen. Und für eine große Runde auf dem heiligen roten Zehngangrennrad meines ältesten Bruders gab ich mein Geheimnis preis. Ich war ja auch stolz auf den Aberwitz meiner Idee. Von angenehmem Grausen geschüttelt, riefen sie: »Er hat Hundeblut in seinen Adern.« Von da an warfen sie bei den Sonntagsspaziergängen Stöcke, die ich holen sollte, bellten mich an oder drohten mir damit, mich einschläfern zu lassen. Mein ältester Bruder sagte: »Komisch, ich habe das Gefühl, seitdem ihr Blutsbrüder geworden seid, ist der Hund noch dämlicher als vorher.« Die gebleichten Teppichflecken wurden einzeln herausgeschnitten und ersetzt. Doch der Farbton stimmte nicht ganz. Es sah aus wie ein romantisch angelegter Gartenweg aus verschieden großen Steinplatten. Aber das Schlimmste war, dass der Hund, mein Verbündeter, noch Wochen später seinen Schwanz einzog, wenn er mich sah, und den Keller hat er nie wieder mit mir zusammen betreten.
Die JoMaHe
Sobald mein Vater aus der Psychiatrie nach Hause kam, ließ er sich in seinen Sessel fallen und las. Freundlich konzentriert, nur partiell anwesend. Zu den Mahlzeiten legte er das Buch zögerlich aus der Hand. Kam immer erst dann an den Tisch, wenn alle schon saßen, das Essen schon auf den Tellern dampfte. Aber er rückte seinen Stuhl nie ganz an den Tisch heran. Niemals habe ich ihn auf einem vollständig an den Tisch herangerückten Stuhl sitzen und essen gesehen. Immer war sein Stuhl leicht schräg gestellt, sodass er, ohne ihn
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