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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Kopfsteinpflaster war der Gesang vollkommen anders als auf glatter Autobahn oder geschwungener Landstraße.
    Meine Brüder litten. Mehrmals musste ich vor längeren Fahrten einen Kontrakt unterschreiben, dass ich nicht vom Fuchs und der Gans singen würde. Doch meinen Eltern war ein keinen Ton treffender, aber unbeirrt vor sich hin singender Sohn lieber als das ewige Geschrei. So saßen wir denn zu fünft im Auto, mein Hasenfuß-Vater fuhr wie immer halb so schnell wie erlaubt, rauchte dabei Kette, Sprühregen auf der Windschutzscheibe und alle Fenster waren geschlossen. Meiner Mutter war der Gurt zu eng, einmal pro Minute zerrte sie daran, als ob er eine bedrohliche Schlingpflanze wäre, die sich nach und nach immer enger um sie schnüren würde. Ich saß zwischen meinen Brüdern auf der Rückbank. So weit es irgend ging, waren sie von mir abgerückt, und ihre Köpfe lagen seitlich weggeknickt, konsterniert an den Scheiben. Aber ich sang – ein unbeirrbarer, blonder Barde, sang vom Fuchs und der Gans, bis wir unser Ziel erreichten.

Dreimal Gold
    Meine Lieblingslektüre waren Bücher der Reihe »Alfred Hitchcock – Die drei Fragezeichen«. Es waren Krimis, bei denen man selbst versuchen sollte, dem Verbrecher auf die Schliche zu kommen – und hin und wieder bekam man von einem kleinen Hitchcock-Schattenriss einen Tipp. Auf der letzten Seite stand die Lösung. Ich war ein sehr langsamer Leser und brauchte oft wochenlang für einen einzigen Band. Davon, dass ich Bücher verschlang, konnte wirklich keine Rede sein. Mein mittlerer Bruder nutzte diese Langsamkeit gnadenlos aus. Er stahl mein Buch, las die letzte Seite und erpresste mich: »Wenn du nicht sofort mein Zimmer aufräumst, sag’ ich dir, wer der Mörder ist.« Wenn ich mich weigerte, rief er wie bei einer Oscar-Verleihung: »Der Name des Mörders ist …!« Ich rannte sofort in sein Zimmer und räumte auf. Für mich war das eine ernst zu nehmende Drohung. Die Vorstellung, vier Wochen lang fünfzig Seiten umsonst gelesen zu haben, machte mich gefügig. Die einzige Chance, diesem Ausgeliefertsein zu entgehen, bestand darin, möglichst schnell an das Ende des Buches zu gelangen und mich dadurch unangreifbar zu machen. Oft habe ich dann das Drei-Fragezeichen-Buch in der durch meine Knechtschaft äußerst knapp bemessenen Zeit in nur drei Tagen zu Ende gelesen. Das war ein befreiender Moment. Mein Bruder sagte: »Los, putz die Speichen von meinem Rennrad!« Ich sagte: »Nee, mach ich nicht!« Er, wie immer: »Der Name des Mörders ist …!«, und ich, leicht gelangweilt: »Mr. Green vom Segelklub!«
    So haben schon diese frühen Leseerfahrungen sehr real in mein Leben eingegriffen. In einem dieser Drei-Fragezeichen-Bücher gab es ein Preisausschreiben. Erster Preis: ein Kassettenrekorder. Ich war begeistert. Die Preisfrage lautete: Fallen dir drei Sprichwörter ein, in denen das Wort »Gold« vorkommt? Ich überlegte lange: »Morgenstund hat Gold im Mund« war das einzige, das ich wusste. Ich ging zu meinem Vater. »Warte mal«, sagte er, »wie wäre es mit: Eigener Herd ist Goldes wert und …«, er überlegte, »ah ja: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.« Sorgfältig, in Druckbuchstaben, füllte ich die Karte aus. Am Abend im Bett dachte ich über die Sprichwörter nach. Mit keinem konnte ich etwas anfangen. »Morgenstund hat Gold im Mund« – also ich schlief morgens gerne lang. Es gab auch wenige Dinge, die ich mir weniger wünschte als einen eigenen Herd, und viel geredet habe ich auch gerne. Mir war dieser schweigende Frühaufsteher vor seinem eigenen Herd ein Graus, und doch hoffte ich natürlich, den Kassettenrekorder zu gewinnen.
    Ein paar Wochen später, als ich die Hoffnung schon längst aufgegeben hatte, lag auf meinem Bett ein Brief, auf der Rückseite der Schattenriss von Hitchcock. Ich öffnete ihn vorsichtig und überflog die Zeilen. Las halbe Sätze: »Du bist ein toller Detektiv, der …«, oder: »… super Spürnase, die …«. Leider hatte ich weder den Rekorder noch den zweiten Preis, zehn Drei-Fragezeichen-Bände im Schuber, gewonnen. Nein, mein Gewinn war ein absolut niederschmetternder: ein Vogelhaus! Eines von insgesamt fünfzig! Da war ja fast der eigene Herd noch besser. Meine Mutter sagte: »Das ist doch toll. Ich schenk dir ein Vogelbuch und dann beobachten wir die.« Meine Brüder gaben sich nicht so viel Mühe. Der eine sagte: »Entschuldige, ich hab dich nicht genau verstanden: Hast du Kassettenrekorder gesagt oder

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