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Waren Sie auch bei der Krönung?

Waren Sie auch bei der Krönung?

Titel: Waren Sie auch bei der Krönung? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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überbrückt werden.
    Während des kurzen Wortwechsels mit der Gruppe am andern Tisch war der Junge identifiziert, mit einer Etikette versehen, klassifiziert worden. Da waren die Eltern, die Großmutter und die kleine Schwester, und der Knabe selbst: kräftige Eichenbalken für die Rippen des tapferen Schiffes England, aber früher niemals für die Kommandobrücke bestimmt.
    Zu seiner Zeit, erinnerte sich der Herr, konnte für den Sohn einer solchen Familie die Chance, Offizier zu werden, mit nicht mehr als eins zu zehn Millionen bewertet werden, wenn man überhaupt von einer Chance sprechen konnte. Aber ebenso gering wäre in jenen Tagen die Möglichkeit gewesen, daß er in einem Speisewagen einem nicht allzu sauberen, aber liebenswerten kleinen Jungen gegenüber gesessen hätte, der aus seiner schmutzigen Tasche das Abzeichen seines eigenen Regiments hervorzog und mit dem Heißhunger und Ehrgeiz der Jugend erfahren wollte, ob er eines Tages Offizier in dieser berühmten Truppe werden könnte.
    Er wußte, daß die Zeit, der er angehörte, vorbei war. Er hatte es oft bedauert: jetzt war er froh darüber. Ein halbes Jahrhundert war vergangen, seit er, ein Gentleman, Offizier geworden war. Wie alt mochte dieser Bub sein? Elf Jahre? Zwölf? In einem Jahrzehnt würde er vielleicht Offizier und Gentleman sein.
    Jene unüberbrückbare Kluft schien jetzt nicht mehr breiter zu sein als die fünfzig Zentimeter des Tisches, der ihn von dem Knaben trennte, und das Herz des alten Mannes war erfreut darüber, daß dem so war. Wie viele Millionen andere empfand auch er an diesem Tag, daß die Welle der Gefühle, die die Krönung der Königin im ganzen Lande ausgelöst hatte, auch ihn seelisch aufwärtstrug. Und als er Johnny Clagg antwortete, geschah dies beinahe im Namen der jungen Königin: «Gewiß. Ich glaube, daß du Offizier werden wirst, wenn dein Wunsch danach stark genug ist.»
    «Oh, das ist er!» sagte Johnny.
    «Dann darfst du nie nachlassen», sagte der Herr und wiederholte feierlich viermal: «Niemals, niemals, niemals, niemals! Der Wunsch muß immer in dir lebendig sein und gegen verschlossene Türen an-stürmen wie eine Armee, die die Bedeutung des Wortes nicht kennt. Vor einem solchen Ansturm bricht jeder Widerstand zusammen. Habe ich nicht recht?»
    O wie herrlich, wie ein Mann behandelt zu werden! «Ja, Sir», sagte Johnny.
    Der Fremde nickte nachdenklich. «Ja, dein Ehrgeiz muß immer in dir lebendig bleiben. Das letzte, woran du abends vor dem Schlafengehen denkst, dein erster Gedanke, wenn du morgens erwachst. Dann wirst du Erfolg haben. Natürlich spielt auch das Glück eine Rolle, aber schließlich hast du ja bisher schon Glück gehabt.» Er seufzte, legte das Regimentsabzeichen wieder auf den Tisch und schob es, den Blick noch immer darauf gerichtet, mit der Fingerspitze zu dem Knaben hin.
    Die Worte, die wie eine Prophezeiung klangen, wie eine beinahe erfüllte Voraussage, beglückten den Jungen, aber etwas von den Empfindungen, die den alten Herrn beseelten, übertrug sich auch auf ihn.
    Der Kellner kam und kritzelte die Rechnungen. Der Herr öffnete seine Brieftasche, zahlte, und der Kellner ging weiter. Johnny Clagg schob das Abzeichen über die Mitte des Tisches hinweg wieder auf das Territorium des Alten. Es war ihm völlig unklar, warum er es tat und warum er sagte: «Möchten Sie es haben, Sir?» Er wußte nur, daß er diese Worte aussprechen mußte.
    Der Herr straffte den Rücken und blickte auf den Knaben. Wenn seine Miene fast erschreckte Strenge auszudrücken schien, so nur deshalb, weil Johnnys Geste ihn tief bewegt hatte. Was konnte das Kind nur zu einer so freigebigen, liebevollen und rührenden Handlung veranlaßt haben? Er nahm das Regimentsabzeichen auf, wog es eine Sekunde lang in der hohlen Hand, und in seinen Augen war wieder der feuchte Schimmer. «Danke, nein», sagte er. «Aber ich glaube fast, das war das schönste Geschenk, das mir je angeboten wurde. Nein, nein, behalte es, und eines Tages wirst du es tragen.» Dann erhob er sich zu seiner vollen, imponierenden Größe; aber vielleicht stand er nicht ganz aufrecht, denn es schien, daß er ein wenig gealtert war. Seine letzten Worte waren: «Achte darauf, daß es immer schön poliert ist, mein Junge!» Dann wandte er sich ab und ging.
    Großmutter Bonner rief vom andern Tisch herüber: «Hast du dir den Mund abgewischt, Johnny?»

    Keiner von ihnen hatte je zuvor in einem Speisewagen gegessen, und sie waren alle

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