Warte auf das letzte Jahr
gelesen?«
»Ja«, nickte Festenburg. »Und es gibt da einen sehr interessanten Punkt. Alle diese Untersuchungen wurden von Leuten durchgeführt, die heute nicht mehr zum medizinischen Stab gehören. Teagarden war an keiner einzigen beteiligt; sämtliche Berichte stammen aus der Zeit, als er noch nicht hier beschäftigt war, und soweit ich weiß, ist es Teagarden ebensowenig wie Ihnen möglich gewesen, Gino auch nur einer oberflächlichen Untersuchung zu unterziehen. Und ich glaube auch nicht, daß es ihm irgendwann gelingen wird. Auch Ihnen wird das nicht gelingen, Doktor. Selbst wenn Sie jahrelang hierbleiben.«
»Sie machen sich gewiß zu viele Gedanken«, bemerkte Eric.
»Halten Sie mich für verrückt?«
»Nicht unbedingt, nein. Doch zweifellos berauschen Sie sich an diesen phantastischen Vorstellungen.«
»Die eine reale Grundlage besitzen«, versetzte Festenburg. »Ich will wissen, was Gino im Schilde führt. Ich halte ihn für einen verdammt raffinierten Kerl. Ich bin überzeugt, daß er die Sternmenschen an jedem Tag der Woche austricksen könnte. Und verfügte er über ihr wirtschaftliches Potential und ihre Ressourcen an Menschen und Material, dann säße fraglos er am Drücker. Aber er verfügt nur über einen einzigen, winzigen Planeten, während die Sternmenschen ein Sternenweites Imperium aus zwölf Planeten und acht Monden hinter sich haben. Es ist überhaupt ein Wunder, daß er sich so lange hat halten können. Sie wissen, Doktor, daß Sie hier sind, um herauszufinden, was Gino krank macht. Ich behaupte, daß es darum gar nicht geht. Es ist doch offensichtlich, woran er leidet: an dieser ganzen verfahrenen Situation. Die richtige Frage lautet: Was hält ihn am Leben? Das ist das wahre Geheimnis. Das Wunder.«
»Ich glaube, Sie haben recht.« Widerwillig mußte er sich eingestehen, daß Festenburg trotz seiner abstoßenden Eigenschaften ein intelligenter, origineller Mann war; er hatte das eigentliche Problem erkannt. Kein Wunder, daß Molinari ihn eingestellt hatte.
»Haben Sie schon diese boshafte Schulgöre kennengelernt?«
»Mary Reineke?« Eric nickte.
»Mein Gott, da steckt er schon in dieser tragischen, undurchschaubaren Klemme, stöhnt jeden Tag unter der Last der Verantwortung, die er für die Erde trägt, während er weiß, daß er den Krieg verliert, daß uns die Riegs erwischen werden, wenn es dem Lilistern wie durch ein Wunder nicht gelingt – und zu allem Überfluß hat er sich noch Mary aufgehalst. Und die größte, schrecklichste Ironie ist, daß diese Mary – trotz ihres boshaften, einfältigen, egoistischen, gierigen Charakters –, daß sie ihn wieder auf die Beine gebracht hat; sie haben mitbekommen, wie sie es geschafft hat, ihn aus dem Bett zu holen und wieder zum Arbeiten zu bringen. Wissen Sie über Zen Bescheid, Doktor? Dies ist ein Zen-Paradoxon, denn logisch betrachtet müßte Mary eigentlich der auslösende Faktor sein, der ihn endgültig umbringt. Man wird gezwungen, die Rolle des Unglücks im menschlichen Leben neu zu überdenken. Um die Wahrheit zu sagen, ich verabscheue und hasse sie. Natürlich haßt sie mich auch. Das einzige, was uns verbindet, ist Gino; wir wollen beide, daß er es schafft.«
»Hat sie ebenfalls die Aufnahme von dem gesunden Molinari gesehen?«
Festenburg blickte auf. »Eine kluge Frage. Hat Mary die Aufnahme gesehen? Vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber wenn Sie meiner Theorie über die Alternativwelt zustimmen und der Mann auf dem Bildschirm keine Robameise, sondern ein Mensch ist, und wenn Mary diesen faszinierenden, feuerfressenden, kämpferischen Halbgott gesehen hat – dann kann ich Ihnen versichern, daß die anderen Molinaris verschwinden werden. Denn nach Mary Reinekes Vorstellung sollte Gino genau so ein Kerl sein.«
Ein seltsamer Gedanke. Eric fragte sich, ob Gino sich dieses Aspektes der Situation bewußt war; wenn ja, dann konnte dies vielleicht eine Erklärung dafür liefern, warum er so lange gezögert hatte, jenes Mittel einzusetzen …
»Ich bin mir nur nicht im klaren«, wandte er sich an Festenburg, »wie der kranke Gino, den wir kennen, eine Robameise sein kann, wenn man Mary Reinekes Existenz mit einbezieht.«
»Wieso? Warum nicht?«
»Um es vorsichtig auszudrücken … Würde es Mary denn nicht kränken, die Geliebte eines Produktes der GRS Enterprises zu sein?«
»Ich bin müde, Doktor«, erklärte Festenburg. »Beenden wir diese Diskussion – gehen Sie und bringen Sie Ihr neues Konap in Ordnung, das man
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