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Warte auf das letzte Jahr

Warte auf das letzte Jahr

Titel: Warte auf das letzte Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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nicht mehr existierten.
    Später, in seinem streng bewachten Schlafzimmer, von einigen Kissen gestützt, saß Molinari in seinem Bett und blätterte mit zittrigen Fingern in einer Ausgabe der New York Times, die neben ihm auf dem Nachttisch gelegen hatte.
    »Das Lesen schadet mir doch nicht, oder, Doktor?« fragte er mit schwacher Stimme.
    »Ich glaube nicht«, antwortete Eric. Die Operation war erfolgreich verlaufen; der erhöhte Blutdruck hatte sich wieder normalisiert und auf ein Niveau eingependelt, das bei einem Mann seines Alters und seiner körperlichen Verfassung zu erwarten war.
    »Hier, sehen Sie sich an; diese verdammten Zeitungen bekommen auch alles mit!« Molinari reichte ihm die Titelseite.
     
    POLITISCHES TREFFEN AUFGRUND EINER PLÖTZLICHEN ERKRANKUNG DES GENERALSEKRETÄRS GEPLATZT. DIE VON FRENEKSY GEFÜHRTE DELEGATION DES LILISTERNS BRÜSKIERT.
     
    »Wieso haben sie davon erfahren?« fragte Molinari gereizt. »Gott, wie stehe ich wieder da; jeder weiß nun, daß ich in einem wichtigen Moment gekniffen habe.« Er starrte Eric an. »Hätte ich auch nur ein bißchen Mumm, hätte ich Freneksy zum Teufel gejagt, als er die Arbeitskräfte anforderte.« Erschöpft schloß er die Augen.
    »Ich wußte, daß er diese Frage stellen würde. Ich wußte es schon vor einer Woche.«
    »Es ist nicht Ihre Schuld«, versuchte ihn Eric zu beruhigen. Was wußte Molinari über die physiologische Dynamik seiner Leiden? Vermutlich nichts; er ahnte nichts von den Ursachen seiner Krankheiten – er würde es nicht einmal zugeben. Und so würde dieser Prozeß auch weiter auf der unbewußten Ebene ablaufen.
    Aber wie lange kann das so noch weitergehen, fragte sich Eric. Der Zwiespalt zwischen der bewußten Todessehnsucht und dem unbewußten Lebenswillen war zu groß … vielleicht würde daraus irgendwann eine Krankheit entstehen, von der sich der Generalsekretär nie mehr erholen würde; eine Krankheit, die nicht nur gefährlich, sondern tödlich war.
    Die Schlafzimmertür öffnete sich, und Mary Reineke erschien.
    Eric ergriff ihren Arm und führte sie hinaus in den Korridor, schloß dann hinter ihnen die Tür. »Darf ich nicht zu ihm?« fragte sie aufgebracht.
    »Gleich.« Er musterte sie, und er wußte immer noch nicht, ob sie die Situation wirklich durchschaut hatte. »Ich möchte Sie etwas fragen. Hat sich Molinari irgendeiner psychiatrischen Therapie oder Analyse unterzogen, über die Sie informiert sind?« In den Akten befand sich kein dementsprechender Vermerk, doch er besaß eine unbestimmte Ahnung, daß seine Vermutung zutraf.
    »Warum hätte er das tun sollen?« Mary spielte mit dem Reißverschluß ihres Kleides. »Er ist nicht verrückt.«
    Das war sicherlich richtig; er nickte. »Aber seine körperliche …«
    »Gino hat Pech. Deshalb wird er immer wieder krank. Sie wissen, daß kein Psychiater etwas daran zu ändern vermag.« Fast widerwillig fügte sie hinzu: »Gut, er hat einmal einen Analytiker konsultiert, so ungefähr vor einem Jahr. Aber das ist streng geheim; wenn die Zeitungen davon Wind bekommen …«
    »Sagen Sie mir den Namen des Analytikers.«
    »Den Teufel werde ich tun.« Feindseliger Triumph funkelte in ihren dunklen Augen; starr sah sie ihn an. »Ich würde es nicht einmal Dr. Teagarden sagen, und ihn mag ich.«
    »Nachdem ich Ginos Krankheit …«
    »Der Analytiker«, unterbrach Mary, »ist tot. Gino hat ihn umbringen lassen.«
    Eric starrte sie an.
    »Raten Sie einmal, warum.« Sie lächelte mit der Bosheit eines minderjährigen Mädchens, mit der sinnlosen, genießerischen Grausamkeit, die ihn blitzartig an seine eigene Jugend erinnerte. Schon damals hatten ihn derartige Mädchen gequält. »Der Analytiker hat etwas herausgefunden. Über Ginos Krankheit. Ich weiß nicht, was es war, aber ich nehme an, daß er sich auf dem richtigen Weg befand … wie Sie es sich ebenfalls einbilden. Wollen Sie jetzt immer noch die Wahrheit herausfinden?«
    »Sie erinnern mich an Premierminister Freneksy«, sagte er.
    Sie schob ihn zur Seite und schritt auf die Tür zu. »Ich gehe jetzt hinein. Auf Wiedersehen.«
    »Wissen Sie, daß Gino heute im Konferenzsaal gestorben ist?«
    »Ja, ihm blieb nichts anderes übrig. Natürlich nur ein paar Augenblicke lang; nicht lange genug, um seine Gehirnzellen zu schädigen. Und außerdem haben Sie und Teagarden ihn rechtzeitig eingefroren; auch darüber bin ich im Bilde. Warum erinnere ich Sie an Freneksy, an diesen Mistkerl?« Sie trat an ihn heran und sah ihm forschend

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