Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall
seinen verschwundenen Nestern, über seinem Kopf und flog dann, ein Gestöber schwarzer Schwingen, einem neuen Zuhause entgegen – dahin, wo die Bauarbeiter noch nichts zerstört hatten. Markby seufzte, dann hellte sich seine Miene auf. Vor ihm und ein Stückchen unterhalb des niedrigen Hügels, auf dem er saß, fuhr ein grauer Wagen mit Heckklappe langsam und vorsichtig die halbfertige Straße entlang. Er hielt an, und der Fahrer stieg aus. Ein kleiner braunweißer Hund, der aussah wie ein Jack-Russell-Terrier, sprang ebenfalls aus dem Wagen und begann scheinbar ohne Sinn und Zweck auf dem Asphaltstreifen hin- und herzurasen, tauchte dann in einen Graben ein und verschwand. Der Fahrer griff in den Wagen, zog einen großen Bogen Papier heraus, den er nicht ohne Schwierigkeiten auf der Motorhaube ausbreitete. Der Wind fing sich darin und drohte das Papier wegzuzerren. Es wölbte sich und schlug dem Mann ins Gesicht, während er versuchte, es zu studieren. Der Beobachter konnte sich sehr gut vorstellen – wenn er es auch nicht hörte –, wie der andere fluchte. Markby lächelte. Er steckte den Rest des Schokoriegels in die Tasche und stand auf. Sogar aus dieser Entfernung hatte er Herrn und Hund erkannt und stieg, auf dem nassen Gras und dem aufgeweichten Boden ausrutschend, den Hügel hinunter. Unten angelangt suchte er sich seinen Weg über die aufgewühlte Erde, und als er in Rufweite war, wölbte er die Hände vor dem Mund und rief:
»Steve!« Der Mann mit der Karte blickte auf, hob voreilig eine Hand und winkte. Der Wind nutzte seine Chance. Das Papier wurde weggerissen und tanzte, von Steve Wetherall verfolgt, wie närrisch die Straße entlang. Patch, der Hund, flog wie ein Gummiball aus dem Graben und raste auf seinen kurzen Beinen hinter den beiden her, ganz offensichtlich der Meinung, daß dieses herrliche Spiel ausschließlich für ihn inszeniert wurde. Markby wartete am Wagen, bis Steve zurückkam – fluchend, keuchend und mit feuerrotem Gesicht, aber immerhin die kläglich zerdrückte und schmutzig gewordene Karte umklammernd. Er schmiß sie in den Wagen und warf die Tür zu.
»Was machst du denn hier draußen?« fragte er heiser, als er sich aufrichtete.
»Ich gehe spazieren.« Markby bückte sich zu Patch hinunter, der näher trottete, einen Freund erkannte, grinsend und mit heraushängender roter Zunge an ihm hochsprang; seine Pfoten tätowierten dabei Markbys Hose freigebig mit Schlamm.
»Ich werfe einen letzten Blick auf die Überreste dessen, was einst eine blühende Landschaft war, ehe du und deine Helfershelfer auch noch das letzte Stück umgraben und mit einer Ladung Beton zuschütten.«
»Fortschritt, mein Alter, das ist der Fortschritt. Die Menschen müssen irgendwo wohnen.«
»Nicht hier, das müssen sie nicht. Meiner bescheidenen Meinung nach ist das ein riesiges Geschwür. Bamford war einmal ein hübsches, kleines Marktstädtchen. Du und deine Bauunternehmer-Freunde haben schon fast alles kaputtgemacht. Hier war früher Lonely Farm. Weißt du noch, Steve? Du mußt es wissen! Erinnerst du dich denn nicht mehr an die Zeit, als wir beide bei den Brombeersträuchern gespielt und im Fluß kleine Fische gefangen haben?« Wetherall schnaubte verächtlich.
»Sentimentales Geschwafel. Ja, ich erinnere mich. Natürlich stimmt es mich traurig, das alles verschwinden zu sehen. Aber die Zeiten ändern sich. Intelligente Menschen ändern sich mit ihnen. Manche werden natürlich nie erwachsen und spielen ihr Leben lang Räuber und Gendarm.« Steve warf Markby einen bedeutsamen Blick zu.
»Geld spricht, meinst du. Der Preis für das Land, das ist es. Die Leute lockt das schnelle Geld.«
»Nein, so ist es nicht – nicht ganz.« Steve drehte sich um und zeigte mit einer umfassenden Geste zum Horizont.
»Farmer gehen im ganzen Land pleite. Viele können es gar nicht erwarten, ihre Farmen aufzugeben, und beten praktisch darum, daß jemand kommt, der ihnen eine guten Preis für ihr Land bietet, um es zu erschließen. Gib nicht den Planern, Architekten und Bauunternehmern die Schuld. Schuld sind die Zinssätze, die gestrichenen Subventionen, die Milchquoten, der Rinderwahnsinn, Traberkrankheit oder Salmonellen – alles eben, was die Preise drückt oder ins Bodenlose fallen läßt – , ganz zu schweigen von der Plackerei tagein, tagaus und der Einsamkeit der modernen Farmarbeit. Weißt du, wie viele Farmer an Depressionen leiden? Vor fünfzig Jahren war eine Farm eine blühende Gemeinde,
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