Warten auf den Monsun
Der Besitzer der Autowerkstatt, der so tut, als sei er Brite, aber hinter seinem Rücken ausgelacht wird, weil er nur ein Halbblut ist? Die Direktorin der Hauswirtschaftsschule, die ihre Kinder zum Studieren nach England schicken möchte, weil sie meint, es ist ihr Mutterland, aber die kein Visum für sie bekommt? Die Fußpflegerin, die sich jahrelang darum bemüht hat, ihren Namen zu ändern, und nun auf einmal den alten Namen zurückhaben möchte? Charlotte unterdrückt die Tränen, die auf diesen Moment gewartet haben. Was soll mit dem Kind geschehen, wenn sie es nicht mehr beschützen kann, wenn ihr Sohn alt genug ist, in die Welt hinauszugehen? Wird man ihn beschimpfen, weil er ein Bastard ist, dunkel und nicht blond, der vaterlos ist und deshalb rechtlos sein wird? Wird man sie im Club eine Hure nennen, wie die Tochter des Eisenbahndirektors, die eine Beziehung zu einem Mann aus Kerala gehabt hatte? Wird sie enterbt werden, wie die Frau, die mit einem berühmten Dichter aus Kalkutta auf und davon gegangen ist? Oder vergiftet, wie das Mädchen, das vorhatte, einen Lehrer aus Orissa zu heiraten? Müssen sie nach England gehen? Nach Amerika? Nach Afrika? Wo können sie glücklich werden, ohne daß alles, was sie tun, auf Ablehnung stößt?
Ihr Koffer, den sie am Morgen gepackt hat, um in das große Haus auf dem Hügel zurückzukehren, liegt neben ihr. Wenn die Reise wie geplant verläuft, sind sie in zwei Tagen wieder in Rampur. Der Schweiß bricht ihr aus. Sie will das Kind aus Sitas Armen nehmen, sich die Bandagen von der Brust reißen und das Kind stillen. Sie will es trösten, verstecken und beschützen, nie mehr loslassen. Zurück in ihren Bauch will sie es stopfen, alles ungeschehen machen. Zurück in die Zeit will sie, um ihre Schande zu tilgen. Niemand darf wissen, daß es ihr Kind ist. Daß sie ihr Baby vor zwei Wochen zur Adoption freigegeben hat, scheint sie völlig vergessen zu haben. Plötzlich weiß sie mit absoluter Klarheit, daß ihr Sohn nur glücklich werden kann, wenn sie nicht die Mutter ist.
»Wann hast du zum letzten Mal Liebe gemacht?«
Sita blickt schockiert auf, eine so direkte Frage mußte sie noch nie beantworten.
»Habt ihr zusammen geschlafen, als Deepak das letzte Mal zu Hause war?« fragt Charlotte hartnäckig.
Sita spürt wieder, wie trocken sie war, als er sich auf sie legte. Sie hatte vergessen, wie er roch, und seine Hände waren grob geworden. Erst als er schnarchend neben ihr lag, wußte sie, daß es ihm gekommen war, weil sie sein Sperma aus ihrer Scheide fließen fühlte. Sie hatte ihm nicht gesagt, daß sie schon das ganze Jahr keine Monatsblutung mehr gehabt hatte, denn das bißchen Intimität, das sie früher verband, war völlig verschwunden, seit er in Neu-Delhi arbeitete; daß er mit ihr schlafen wollte, hatte sie sogar befremdet, weil sie, ohne daß sie diesen Gedanken mit anderen teilte, davon überzeugt war, daß er eine Stellvertreterin für sie hatte und nur aus Pflichtgefühl jedes Jahr für eine Woche nach Rampur zurückkehrte.
Charlotte erkennt an Sitas verwirrter Miene, daß sie tatsächlich mit ihrem Mann intim war. »Von jetzt an ist es dein Kind.«
Sita, die die Adoptionspapiere in der Tasche hat, nickt.
»Erzähl niemandem, daß du es adoptiert hast. Stell es deinen Töchtern als ihren Bruder vor und ruf Deepak an und sag ihm, daß er endlich einen Sohn hat. Er wird stolz sein und dich wieder lieben. Ich werde dich, solange ich lebe, finanziell unterstützen. Der Junge soll studieren, er soll Arzt werden können, oder Ingenieur, wenn er möchte, aber du darfst ihm niemals sagen, daß ich seine Mutter bin. Niemals! Versprich mir das!« sagt Charlotte keuchend.
Sita versteht nicht, warum Charlotte plötzlich so viel Aufhebens macht. Daß es nicht Charlottes, sondern ihr Sohn ist, sieht doch wohl jeder sofort. Sie nickt, beugt sich über den Kleinen und beginnt leise zu singen, die Charlotte so vertrauten, nasalen Töne mit den unverständlichen Worten. Noch mit offenem Mund schläft das Baby ein.
1967
Rampur
Die Tränen waren getrocknet, als ihnen die Hitze Rampurs entgegenschlug. Am Bahnhof erwartete sie der Chauffeur. Er machte ein verwundertes Gesicht, als nicht nur die Tochter des Hauses, sondern auch die ehemalige Ayah, mit einem Baby im Arm, ins Auto stieg. Wirklich verdutzt war er, als die Tochter des Generals ihm den Auftrag gab, zuerst die Ayah mit dem Baby nach Hause zu bringen und dann erst zum großen Haus zu
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