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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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zogen sich heftig zusammen, als versuchten sie, Milch hervorzubringen. Sie war an der Tür mit der Zahl Vier vorbeigegangen, schnurstracks in das einfache Zimmer, das Charlotte für sie gemietet hatte. Auf die Frage der Schwester, wo sie hinwolle, hatte sie gesagt, sie und niemand anders werde den kleinen Jungen adoptieren. Sie war ins Badezimmer geeilt, hatte den Neugeborenen mit warmem Wasser aus der Thermosflasche gewaschen und in ihrem Bett schlafen gelegt. Sie hatte Pullunder und Schal, die Charlotte für sie gestrickt hatte, als Decken benutzt, und war erst dann in Raum vier gegangen. Dort hatte sie gesagt, sie käme, um die Papiere zu unterschreiben. Die Schwester hatte zweimal nachgefragt, ob die Mutter des Kindes damit einverstanden sei, worauf Sita zweimal zustimmend den Kopf geschlenkert hatte. Das Formular, das die Schwester ihr hinschob, verstand sie nicht, erst als ihr die Schwester zeigte, wo sie unterschreiben müsse, hatte sie mit unsicherer Hand ihren Namen hingekritzelt, das einzige Wort, das sie überhaupt schreiben konnte. Die Schwester hatte gefragt, wie der Junge heißen solle, und Sita hatte gesagt, sein Name sei Parvat – »Berg«. Sie hatte um ein Fläschchen Milch gebeten und war wieder in ihr Zimmer gegangen.
    Erst als zwei Wochen später das Taxi vor der Tür stand, das sie nach Simla zurückbringen sollte, entdeckte Charlotte, daß Sita ein Baby bei sich hatte. Auf ihre Fragen hatte die kleine Inderin, die ihr ganzes Leben ihre Vertraute gewesen war, nicht geantwortet. Das Baby war fest in ein Tuch gewickelt und fast unsichtbar zwischen den Falten ihrer Kleider versteckt. Wenn das Baby nicht kurz geweint hätte, als sie ins Auto einstiegen, hätte Charlotte es wahrscheinlich erst viel später bemerkt. Ihre Versuche, im Taxi einen Blick auf den Säugling zu werfen, waren erfolglos, da die frischgebackene Mutter ein Tuch vor das Gesicht des Kindes hielt.
     
    Der Zug ruckelt und schaukelt sanft. Das schlafende Baby ist noch immer zwischen den Falten von Sitas Kleidern verborgen. Die beiden Frauen sehen einander nicht an. Charlotte, weil sie wütend ist, Sita, weil sie Angst hat. Dann beginnt das Baby zu weinen. Sita zaubert ein Fläschchen Milch hervor, das sie zwischen ihren Schenkeln gewärmt hat. Der hungrige Säugling weint mit langen Schluchzern. Charlotte, deren Brüste noch immer straff gewickelt sind, spürt den Milchstau. Das ist ihr in den vergangenen Wochen noch nie passiert, nicht mal, wenn sie eines der Babys weinen hörte, die in den Bettchen in Raum vier auf ihre zukünftigen Eltern warteten.
    Ihre Stimme klingt nicht anklagend oder vorwurfsvoll, eher leicht verwundert. »Das ist mein Kind«, sagt sie.
    Sita sieht sie mit scheuem Blick an. Sie merkt, daß der Zorn abflaut und die Frau ihr gegenüber neugierig wird, sogar ein wenig lächelt. Schüchtern nickt sie. Die Ohrringe, die Sita seit ihrer Hochzeitsnacht trägt, wippen sanft mit. Dann zögert sie nicht mehr und wickelt das Baby aus ihrem Schal.
    Charlotte blickt ungläubig auf das dunkelhäutige Kind. »Ist das meins?«
    »Ja, ein Junge.«
    Charlotte sieht atemlos zu, wie die Frau, die ihr schon so lange die Mutter ersetzt, den Sauger mit sichtlicher Erfahrung in den Mund des Babys schiebt, das gleich kräftig nuckelt. Die schwarzen Wimpern, die schwarzen Haare, die dunklen Augen, die braune Haut, in nichts erkennt sie sich wieder. Bis ihr Blick auf die kleinen Hände fällt, die ziellos greifend den Rhythmus des Saugens begleiten. Genau wie bei ihr ist der Daumen zu lang und der Mittelfinger zu kurz. Sie schaut wieder auf das Gesicht, die kleinen, runden Wangen, den nuckelnden Mund, die Schluckbewegung, das Seufzen, die Härchen auf der Stirn, die makellose, zarte Haut … Daß sie dieses Kind all die Monate in ihrem Bauch getragen hat …! Obwohl sie weiß, daß der Vater ein Inder ist, hat sie in der ganzen Zeit nie daran gedacht, daß das Kind dunkelhäutig sein könnte. Es ähnelt in nichts den Eurasiern, die sie kennt, die je nach Abstammung ihre leicht getönte Haut, ihre Augen, ihre Nase, ihre Haare und ihren Namen verabscheuen oder stolz darauf sind. Was wird ihr Vater sagen, wenn er es erfährt? Ihr Bruder? Die Mitglieder des New Rampur Club? Die Hausangestellten? Pfarrer Das? Die Damen vom Tennisplatz? Der Mann, bei dem sie immer Äpfel kauft, weil nur wenig Leute bei einem Mischling einkaufen wollen? Die schüchterne Bibliothekarin, die Johnson heißt, wie der Soldat, der ihre Mutter geschwängert hat?

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