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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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kannte. Sie nahm den Schlüssel vom Nagel und schloß auf. Mitten im Zimmer saß ihr Vater in seinem Rollstuhl. Er trug nichts außer einer schneeweißen Unterhose und seiner Windel. Seine Narben waren gut zu sehen. Unter die Gurte um seine Füße und Arme waren Wattebäusche gestopft. Sein Körper war schweißnaß. Auch sein Gesicht war naß. Nicht vom Schweiß, sondern von Tränen.
    »Vater! Was ist?« fragte sie erschrocken.
    Das unterdrückte Greinen, das sie ins Zimmer gelockt hatte, ging in lautes Flennen über. Er öffnete den fast zahnlosen Mund, sog die Luft ein und stöhnte unter Tränen. Sie nahm das Handtuch, das neben ihm lag, und trocknete ihm die Schultern, den Hals, die Brust und den Rücken ab. Die Tränen strömten ihm über die Wangen. Sie kniete sich neben ihn und tupfte ihm behutsam Stirn und Gesicht ab, während er weiterschluchzte. Noch nie zuvor hatte sie ihn gestreichelt, nicht, als er auf Leben und Tod im Krankenhaus lag, nicht, als er einen Malariaschub hatte und mit mehr als einundvierzig Fieber phantasierend im Bett lag, und nicht, als der Arzt ihr vor einer Weile eröffnet hatte, er sei schwer krank und würde nie mehr gesund. Sie wußte nicht einmal, ob er sie jemals gestreichelt hatte. Als sie ein Baby war oder ein Kleinkind? Sie konnte sich nicht daran erinnern, daß er jemals zärtlich zu ihr gewesen war. Sie legte ihm das Handtuch auf den Schoß und hob vorsichtig die Hand. Er sollte nicht spüren, daß es ihr unangenehm war und irgendwie befremdlich. Sie strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. Ihre Hand glitt weiter über seinen Kopf. Die dünnen, grauen Haare waren klebrig vom Schweiß, aber es machte ihr nichts aus. Das Schluchzen hörte auf, die Tränen rannen ihm weiter aus den Augen.
    »Möchtest du etwas trinken?«
    Er nickte.
    Charlotte nahm die Flasche und steckte ihm den Sauger in den Mund.
    Gierig saugte er das Wasser ein.
    »Besser?«
    »Ich bin schlecht.« Er schluchzte wieder los.
    »Vater, ganz ruhig …« Sie versuchte ihn wieder zu streicheln, aber er stieß ihre Hand weg.
    »Ich war in Birma«, seine Stimme klang unsicher.
    Charlotte wußte wie jeder andere, daß er in Birma gewesen war, es hatte sogar einmal ein Artikel über ihn in The Times of India gestanden, in dem seine Heldentaten ausführlich geschildert worden waren.
    »Weißt du das?« knarzte er.
    »Ja, Vater, das weiß ich. Du warst dort im Krieg.«
    »Ja, der Krieg«, wiederholte er, das Wort »Krieg« noch zweimal leise hinterhermurmelnd.
    Er starrte still vor sich hin. Charlotte stand unhörbar auf und öffnete die Fenster und die Läden. Das bißchen Kühlung, das der Abend brachte, glitt über die Fensterbank ins Zimmer. Sie hoffte, daß der Stromausfall bald vorbei war, damit sich der Ventilator über seinem Kopf wieder drehte, aber die städtischen Beamten, die das Problem lösen mußten, litten zweifellos ebenso wie sie unter der Hitze und schliefen wahrscheinlich an einem Ort, wo es noch Strom gab und sie Kühlung zugeweht bekamen.
    »Ich habe gelogen.«
    »Sei still. Es ist alles so lange her.«
    »Es ist nicht lange her! Er nennt mich immer so.«
    »Wer?«
    »Der Butler. Er nennt mich General.« Er straffte den Rücken. »Ich bin kein General.«
    »Das weiß ich.«
    »Das weißt du?« Er sah sie so erstaunt an, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen. »Wer bist du? Was willst du hier?«
    »Ich bringe dir Wasser.« Sie nahm die Flasche und drückte ihm den Sauger wieder in den Mund.
    Er begann genüßlich zu nuckeln.
    Sie schaute aus dem Fenster und flehte, daß es bald regnen möge.

1967
Rampur
     
     
     
    Sie steigt ins Auto ein und sagt dem Chauffeur, daß er zum Haus von Sita fahren soll, aber unterwegs läßt sie ihn bei einer Apotheke anhalten. Sie möchte noch etwas für das Kind kaufen. Bei früheren Besuchen hat sie bereits einen blauen Strampelsack mitgebracht, eine Rassel mit aufgemalten Pünktchen, einen Stapel Windeln aus einem der teuersten Läden in der Stadt, einen Teddybär, den sie in Neu-Delhi bestellt hatte und der größer ist als Parvat selbst, einen Becher, auf dem sie seinen Namen hat anbringen lassen, und noch gestern eine spezielle Babycreme, die gut gegen einen wunden Po hilft. Daß es viel zu warm ist für einen Strampelsack, daß der Teddybär mehr Platz in dem kleinen Haus einnimmt als das Baby und daß Parvat keinen wunden Po hat, daran will sie nicht denken. Sie geht in die Apotheke, kauft ein teures, importiertes Babyshampoo und läßt es als Geschenk

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