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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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bestimmt auf dem Pfad begegnet, sie streckte den Kopf zur Tür heraus und rief ganz laut ihren Namen. Charlotte duckte sich noch tiefer unter den Strauch und zog sich den Hut weiter ins Gesicht. Bloß nicht entdeckt werden, nicht jetzt, nicht hier. Sie hörte, wie Isabella die Damen hereinließ und ihnen sagte, sie würde den Schneider holen. Die Tür fiel mit einem Knall zu. Hema mochte zwar alt sein, aber er wußte jedenfalls, wie man eine Tür zivilisiert zumachte.
    Charlotte blickte auf einen dicken Käfer, der auf einem Zweig saß. Die Hitze schien ihm trotz seines dicken Mantels nichts auszumachen. Ob er wohl auch manchmal Angst hatte? Am liebsten wäre sie, so wie er, unter einem großen Schild versteckt, für alle unsichtbar. Der Käfer schüttelte seinen schimmernden Panzer und trippelte mit kleinen Schritten weiter über den Zweig. Es war der plötzliche goldfarbene Glanz auf dem Chitinpanzer, der sie nach der Uhr in ihrer Tasche tasten ließ. Hatte ihr Vater sie wohl schon vermißt, würde er wieder einen Wutanfall bekommen, wen würde er diesmal beschuldigen? Sie mußte es Hema sagen, denn der würde sonst ihre Nichte verdächtigen oder »diesen Darsi«, wie er in einem sehr gehässigen Tonfall sagen konnte. Daß auch Isabella ihn für einen gutaussehenden Mann hielt, hatte sie verwundert, das Mädchen war mindestens drei Jahrzehnte jünger als der Schneider und müßte sich eigentlich mehr für Gleichaltrige interessieren. Der Gedanke beunruhigte sie, wie sie da unter ihrem Strauch hockte. So wie die Christrose nach jedem Monsun ungestüm erblüht, würde diese jugendliche Aufmerksamkeit bei ihm vielleicht Gefühle wecken; die Gefahr, in ihr eine Rivalin zu haben, war vielleicht nicht nur ein Hirngespinst, genährt durch die brütende Hitze und die Einsamkeit des Hauses. Sie war schließlich schon eine ältere Frau, die ihren Vater bestahl, um sich gegenüber ihrer Nichte keine Blöße zu geben und ihr Cola zu kaufen, ein Getränk, das sie selbst noch nie getrunken hatte, die sich unter einem Strauch versteckte, um den hungrigen Blicken von zwei notorischen Klatschbasen zu entrinnen, weil sie befürchtete, sie könnten ihr ansehen, daß sie sich in den dunkelhäutigen Schneider verliebt hatte, der Miete bezahlen mußte, um im Haus ihres Vaters eine Werkstatt zu haben und den sie im Klavierzimmer arbeiten ließ, weil er dann näher bei ihr war … Konnte alles noch trauriger sein? Was war los mit ihr, warum sagte sie dem Mädchen nicht einfach, daß sie kein Geld hatte, daß die Möbel nicht aus ästhetischen Überlegungen weggeschafft worden waren, sondern um etwas zu essen kaufen zu können, daß sie, wie alle Frauen, schön sein wollte auf dem bevorstehenden Fest, aber daß sie kein Geld für Stoff hatte und daß sie ihrem Vater wiederum die letzten Erinnerungen an seine Frau hatte stehlen müssen, um ihre eigenen Wünsche zu erfüllen, daß sie lichterloh brannte und Angst hatte, der Strauch könnte Feuer fangen, wenn sie zu lange darunter sitzen bliebe, daß sie, obwohl sie sich noch nie geküßt hatten, davon überzeugt war, ihn schon wieder verloren zu haben …
    Der Käfer krabbelte am Stamm hoch. Charlotte sah etwas höher noch einen zweiten. War das seine Frau? Oder sein Mann? Gehörten sie zusammen? Waren sie Verwandte? Ein Liebespaar? Hatten sie Geheimnisse voreinander? Der Käfer kletterte immer höher, es sah fast so aus, als ob der andere Käfer sehnsüchtig über den Rand des Zweiges hinunterschaute und wartete, bis der andere oben war. Konnten Käfer küssen? Wie machten Käfer Liebe? War der dicke Panzer nicht im Weg? Charlotte verhielt sich mucksmäuschenstill. Atemlos beobachtete sie, wie das kleine Tier Schritt für Schritt emporkraxelte. Herausfordernd und fast verführerisch. Der eine Käfer kam dem anderen Käfer immer näher. Charlotte vergaß die erstickende Hitze und wartete gebannt, was nun passieren würde. Der Abstand wurde immer kleiner. Der Käfer blieb stehen, die beiden Tiere sahen sich an. Lauf weiter! Gibt jetzt nicht auf! Der Käfer machte noch einen Schritt. Charlotte hätte das Tier am liebsten zu seinem Artgenossen hingeschubst. Angespannt standen sich die beiden Käfer nun gegenüber. Hab sie lieb! Er machte wieder einen Schritt, ihre Köpfe berührten sich fast, als aus dem Nichts plötzlich Geraschel zu hören war. Charlotte erstarrte. Aber bevor sie sich fragen konnte, was das wohl war, tauchte eine Krähe zwischen den Blättern auf, pickte einen der Käfer vom

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