Warten auf den Monsun
stand auf und zog an der Klingelschnur.
»Fragst du ihn?«
»Nein, er hat zu viel zu tun, aber ich werde ihn darum bitten, daß er dir was zu trinken bringt.«
»Hast du Cola, nur nicht schon wieder Tee, alle trinken hier immer nur Tee, aber bei der Hitze wird mir von Tee nur noch wärmer, genau wie von dem scharfen Essen, man kommt dabei furchtbar ins Schwitzen.«
Hema stellte die Kanister seufzend auf den Spülstein. Seine Beine zitterten, und ihm tat der Rücken weh von der schweren Last. Den ganzen Weg den Hügel hinauf hatte er sich gefragt, warum er nicht sauer geworden war, weil das Mädchen das Trinkwasser für fünf Tage benutzt hatte, um ein Bad zu nehmen. Er redete sich ein, es liege daran, daß sie die Nichte von Charlotte Memsahib war. Aber tief im Innern wußte er, daß es einen ganz anderen Grund gab, warum er schon den ganzen Tag vor sich hin pfiff, etwas, was er seit seiner Jugend nicht mehr getan hatte.
Die Klingel läutete. Er nahm das Tablett und sprang fast zum großen Haus. In der Eingangshallte stieß er mit Memsahib zusammen, die ihn sofort ermahnte, still zu sein.
»Weißt du, wo man Cola kaufen kann?« flüsterte Charlotte.
»Unten am Hügel«, flüsterte er zurück.
»Hol schnell eine Flasche, meine Nichte möchte gern Cola.«
Hema zögerte und drehte das Tablett in seinen Händen.
»Was ist?«
»Ich kann da nicht anschreiben lassen.«
Charlotte fischte ihr Portemonnaie aus der Tasche. Beinahe wäre auch die Uhr herausgefallen, sie konnte sie gerade noch zurückschieben.
»Was kostet so eine Flasche?«
»Eine große oder eine kleine, Memsahib?«
»Sie bleibt wohl noch ein paar Tage, kauf lieber eine große.«
Hema strahlte. »Nicht viel, Memsahib, nicht viel.«
»Wieviel?«
»Ungefähr soviel wie zwei Päckchen von den besonders leckeren Keksen.«
»Was?!« Sie vergaß kurz zu flüstern. »Zwei Päckchen!«
Hema nickte voller Überzeugung.
»Kannst du den Preis nicht runterhandeln?« flüsterte sie wieder.
»Unten am Hügel nicht, vielleicht im Zentrum.«
»Tante Charlotte«, klang die helle Stimme aus dem Salon, »bitte sag ihm auch, er möchte eine Tafel Schokolade mitbringen!«
Hema sah Charlotte fragend an, die nickte seufzend und nahm sich vor, noch am selben Tag die Uhr zu verkaufen.
Madan spürte die Unruhe, die das Haus erfaßt hatte, und er wußte, daß es diesmal nicht um ihn ging, sondern um das Mädchen. Nachdem Hema losgezogen war, um eine Flasche Cola und eine Tafel Schokolade möglichst günstig zu besorgen, hatte er gehört, daß Charlotte nach oben ging. Er war froh, daß sie nicht ins Klavierzimmer gekommen war, er wollte gern allein sein, seine Gedanken und Gefühle irrten in alle Richtungen, und nach der Erinnerung an seine Schwester in ihrer blauen Jacke hatte er nur noch Fehler gemacht. Er hatte die Bluse der Frau des Kokosölfabrikanten völlig aufgetrennt und noch einmal neu angefangen, aber als ihm wieder ein Fehler unterlief, hatte er die Haube über die Maschine gestülpt und war hinausgegangen.
Die Sonne bohrte ihre Strahlen in seinen Rücken. Sogar noch im Schatten der verdorrten Bäume schien ihn der sengende Himmelskörper zu erfassen. Er dachte nicht oft an seine Schwester, und er sinnierte auch nicht darüber nach, ob er mehr Geschwister gehabt hatte, er erinnerte sich nur verschwommen, daß vor langer Zeit immer viele Menschen und Kinder um ihn herum waren, aber ob das in einem Haus oder auf der Straße gewesen war, wußte er nicht. Er erinnerte sich aber gut daran, daß er in den Armen einer weißen Frau wach geworden war, sie hatte nach Jasmin gerochen und ihn geküßt, seine Schwester hatte geweint, als er sie hatte trösten wollen, war sie wütend geworden. Er wußte nicht, was er falsch gemacht hatte, doch es mußte etwas sehr Schlimmes gewesen sein, denn sie war so böse, daß sie ihn allein zwischen den Beinen der Männer zurückgelassen und sich nicht mehr nach ihm umgesehen hatte.
Er ging den Hügel hinab, überquerte die Hauptstraße und bog in eine Gasse mit Häusern ein. Die Sonne stand noch lange nicht im Zenit, doch es war kaum Schatten zu finden. Den einzigen Schutz bot ein großes Transparent, das quer über die Straße gespannt war; das Haus des New Rampur Club war darauf abgebildet, darunter stand ganz groß die Zahl »200«.
In zwei Tagen war die Festgala, und er hatte die Kleider fast fertig. Aber an jedem war noch eine Kleinigkeit zu tun, überall gab es noch ein Stückchen offene Naht oder einen
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