Warten auf den Monsun
Ast und flog weg. Der übriggebliebene Käfer duckte sich und schloß sein Schild fest um sich herum. Auch Charlotte duckte sich, sie zog den Kopf zwischen die Knie und legte die Arme um den Hut. Hätte sie doch bloß nicht auf die Frauen im Club gehört, die sie davon überzeugt hatten, ihn ins Haus zu nehmen, wäre sie ihm doch nie begegnet, hätte sie ihn nur nicht vom Küchenhaus ins Klavierzimmer ziehen lassen, hätte sie doch nicht mit ihm getanzt, ihn nicht in ihr Herz schauen lassen. Sie hörte die Blätter wieder rascheln und hoffte, daß der Vogel auch den anderen Käfer verschlang, dann wären sie wenigstens wieder zusammen.
Was ist los?
Charlotte blickte erschrocken auf, durch ihre Tränen hindurch sah sie zwischen den verdorrten Blättern der Christrose sein Gesicht.
Du weinst. Was ist passiert?
Da war ein Vogel.
Einfach irgendein Vogel?
Eine Krähe. Sie hat den Käfer gefressen.
War es ein besonderer Käfer?
Nein, ein ganz normaler Käfer.
Hast du diesen Käfer schon öfter gesehen?
Nein, ich sah ihn zum ersten Mal.
Und die Krähe hat ihn gefressen?
Ja, als er seine Frau küssen wollte.
Auf Madans Gesicht erschien ein breites Lächeln.
»Kann man damit wirklich überallhin telefonieren?« Die Frau von Nikhil Nair und die Frau von Ajay Karapiet bewunderten den Apparat in Issys Hand.
»Ich muß es erst aufladen, der Akku ist leer, sie hatten mir im Laden gesagt, daß er mindestens zwei Stunden hält, aber ich meine, er ist viel schneller leer, aber wenn er nachher wieder voll ist, kann ich euch einfach vom Garten aus anrufen.«
»Vom Garten aus! Hat deine Tante dir denn unsere Telefonnummern gegeben?« fragte die Frau von Ajay Karapiet, die für ihr Leben gern telefonierte.
»Nein, natürlich nicht, aber es wäre sehr praktisch, wenn meine Tante auch so eins hätte, dann könnte ich sie jetzt einfach anrufen, und sie könnte mir antworten, sogar, wenn sie gerade in einem Taxi sitzt.«
»In einem Taxi!«
Die beiden Damen seufzten. Sie waren wie vom Donner gerührt durch die überraschende Anwesenheit des Mädchens, das in ziemlich freizügiger Kleidung, die Haare zu einem wilden Büschel hochgebunden, auf dem Sofa lag und ihnen keinen Platz anbot. Sie redete immer weiter und erzählte, wie sie in Neu-Delhi in einer Rikscha gesessen und telefoniert hatte und daß der Fahrer vor Schreck fast mit einer Kuh zusammengestoßen war. Die Frau von Nikhil Nair machte ihrer Freundin ein Zeichen, daß sie sich dann eben unaufgefordert hinsetzen sollten. Sie hatte Durst und vermied es, auf das große Glas zu schauen, das vor dem Mädchen stand. Sie ärgerte sich, daß der alte Butler nicht erschien, um ihr eine Tasse Tee anzubieten, und sie bereute es, daß sie ihr Glas kaltes Zitronenwasser nicht ausgetrunken hatte, bevor sie Hals über Kopf ins Auto eingestiegen waren.
»Ich habe keinen blassen Schimmer, wo sie hin ist«, sagte Issy, »sie ist genau in dem Moment zur Tür raus, als ihr gekommen seid, also wirklich komisch, daß ihr sie nicht gesehen habt, sie war echt erst eine Sekunde weg, daß sie bei dieser Hitze vor die Tür gegangen ist, hab ich sowieso nicht kapiert, ich würde wegschmelzen, am liebsten würde ich hier nackt unter dem Ventilator liegen, sie hat auch nicht gesagt, wann sie wiederkommt.«
»Ach, das macht gar nichts«, sagte die Frau von Ajay Karapiet begütigend, die einen Schreck bekommen hatte bei der Vorstellung, das Mädchen würde sich auch noch ausziehen, »wir wollten ja eigentlich zum Schneider.«
»O, laßt ihr euch auch was von ihm nähen, ich hab null Ahnung, wo er steckt, ich hatte ihm gesagt, er soll streiken, weil es viel zu warm ist zum Arbeiten.« Issy lachte, als sie die schockierten Blicke der Damen sah. »Er kommt bestimmt gleich wieder, er nimmt seine Arbeit so ernst, heute morgen war er mit einer violetten Bluse zugange, eine super Farbe, aber zu dunkel für mich, ich hab ihn darum gebeten, mir was aus dem roten Stoff zu nähen.«
»Kommst du auch zum Fest?«
»Fest?!«
»Ja, der New Rampur Club besteht zweihundert Jahre, es gibt eine große Gala. Alle Würdenträger aus der ganzen Umgebung kommen, und sogar der Bundesstaatsminister für Sport und Kultur hat zugesagt«, erzählte die Frau von Nikhil Nair und stellte sich dabei vor, wie sie in ihrem prächtigen neuen rosa Abendkleid alle anderen Frauen ausstechen würde. Sie würde schwarze, hochhackige Schuhe anziehen und ein Diadem mit zehn echten Diamanten im Haar tragen.
»Oh«, sagte Issy,
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