Warten auf den Monsun
losen Saum. Er verdrängte den Gedanken, daß er bald fertig war und dann weiterziehen müßte.
In der Ferne hörte er die Feuerwehrsirene, die immer öfter heulte, weil der Monsun ausblieb. Eine Rikscha fuhr in voller Fahrt vorbei; Hema saß darin, hielt eine große Flasche Cola wie ein Baby in den Armen und blickte liebevoll darauf.
Die Frau von Nikhil Nair goß sich gekühltes Zitronenwasser in ihr Glas. »Der Schneider ist immer noch nicht fertig«, seufzte sie und ließ sich schnaufend nach hinten in ihre rosa Kissen fallen.
»Oh«, sagte die Frau von Ajay Karapiet und nahm ein Paar glänzende schwarze Abendschühchen aus einer Schachtel, um sie ihrer Freundin zu zeigen. »Das sind sie.«
»Ich dachte, du wolltest goldene Pantoletten tragen?«
»Die hier gefallen mir besser.«
»Hast du sie schon zu dem Kleid angehabt?«
»Nein, er muß es noch säumen.«
»Meins auch!« In der Stimme der Frau von Nikhil Nair klang Unglaube mit.
Die Frau von Ajay Karapiet blickte skeptisch auf ihre neuen Schuhe. »Ich glaube, du hast recht, goldene Pantoletten sind besser.«
»Priya hat ihr Kleid auch noch nicht zurück, und Deepa hat mir am Telefon erzählt, daß er noch mit ihrem Kragen beschäftigt ist. Ist das nicht seltsam?«
»Allerdings passen mir diese schwarzen Schuhe viel besser.«
»Weißt du, ob Harita ihr Kleid schon zurück hat?«
»Harita will auch goldene Schuhe tragen, aber mit viel höheren Absätzen. Das kann ich nicht wegen meinem Rücken.«
»Hat sie ihr Kleid schon?«
»Sie hat es anprobiert, sagt sie, es paßte wie angegossen.«
»Hat sie es denn schon bei sich zu Haus?«
Die Frau von Ajay Karapiet zuckte zweifelnd mit den Schultern. »Kalpana nicht, mit der habe ich heute morgen gesprochen, sie findet diese Schuhe übrigens auch sehr schön.«
»Kalpana auch noch nicht!« Die Frau von Nikhil Nair stemmte sich aus den Kissen hoch, obwohl die Klimaanlage lief, war ihr noch immer warm. »Und Mandira, soviel ich weiß, auch nicht. Das Fest ist in zwei Tagen, und wir müssen noch die Accessoires auswählen.«
»Was für Schuhe wirst du denn tragen?«
»Ist dein Glas leer?«
»Ich habe immer noch Durst.«
»Gleich.«
Charlotte wählte die Nummer, die sie inzwischen auswendig kannte. Die rauhe Stimme am anderen Ende der Leitung meldete sich nicht mit Namen. Sie schon, freilich nur zögernd, weil ihr klar war, welche Probleme sie sich aufhalsen würde, wenn sie die Uhr verkaufte.
»Sie hatten doch nichts mehr?« herrschte sie der Mann an, der ihr zutiefst unsympathisch war. »Nur wenn Sie noch was wirklich Wertvolles haben, sonst hat es keinen Zweck.«
Ehe sie etwas erwidern konnte, hatte er aufgehängt.
Ihre Nichte lag japsend mit einem Glas Cola auf dem Sofa, ihr Vater schlief, und nicht mal die Nähmaschine surrte; hatte auch ihn endlich die Schlappheit überwältigt, die alle außer Gefecht setzte? Sie ging auf Zehenspitzen zur Garderobe, setzte sich ihren großen Strohhut auf, schlich zur Haustür und huschte hinaus. Sie zog die Tür leise hinter sich zu, als sie sah, daß das schwarze Auto der Frau von Nikhil Nair auf den Pfad einbog. Ihr erster Impuls war, wieder ins Haus zu gehen, Hema zu rufen und die Damen zu empfangen, aber ob es nun die schlaflose Nacht und der Liebestanz waren oder ob sie die ewig tratschenden Frauen gründlich satt hatte, sie lief die Treppe hinunter und versteckte sich blitzschnell zwischen den Zweigen der vertrockneten Christrose, die im Schatten des Hauses stand. Sie beobachtete, wie die Frau von Nikhil Nair ausstieg, gefolgt von der Frau von Ajay Karapiet. Sie hörte die beiden flüstern, daß der alte Butler ihnen sicher wieder diese Kekse anbieten würde, die teuer aussahen, aber billig waren, daß es ein Wunder wäre, wenn noch genug Stühle da seien, um darauf sitzen zu können, daß sie nicht begriffen, warum sie in dem großen Haus wohnen blieben, denn es sei ja nicht zu übersehen, daß sie über ihre Verhältnisse lebten, daß … Charlotte wünschte sich tatsächlich, daß Hema jünger wäre, dann könnte er schneller an der Tür sein, sie wollte nicht hören, daß die Leute unten am Hügel heute nacht die panischen Schreie ihres Vaters vernommen hatten und sich fragten, was eigentlich alles in dem großen Haus passierte, und daß man bei Menschen wie ihnen nun mal nie genau wissen konnte …
Die Tür ging auf, Isabellas helle Stimme klang erstaunt, als sie sagte, ihre Tante sei gerade aus dem Haus gegangen und sie seien ihr doch
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