Warten auf den Monsun
Wasserhahn hinter dem Eierladen nicht finden. Er weiß genau, daß es nicht weit von ihrem Schlafplatz entfernt war, aber jedesmal, wenn er glaubt, ihn gefunden zu haben, ist es nur ein Rohr, das aus dem Boden ragt, eine Stange oder ein Stück Leitung, aber kein Hahn. Am liebsten ginge er zurück zu der Kiste unterm Bahngelände, aber da arbeiten jetzt Männer mit Hämmern. Ein alter Mann mit einem Handwagen fährt ihn fast um und beschimpft ihn, ein Junge mit einer Kiste auf dem Kopf wirft ihm einen herablassenden Blick zu. Madan ist nackt bis auf sein blutbespritztes Hemd und den blutigen Verband. Er weiß nicht, wo er hin soll. Er drückt sich immer mehr an die Mauern der hohen Häuser und schaut in jede Gasse, ob er Samar entdeckt, denn der wußte, wo sie etwas zu essen und zu trinken finden konnten.
»Frisch gebackene Kekse«, ruft ein Mann auf einem Fahrrad, »frische Kekse!«
Madan riecht den verlockenden Duft, der aus dem Behälter hinten auf dem Fahrrad steigt, und spürt, wie sich sein Magen zusammenzieht. Der Mann stellt sein Fahrrad auf den Ständer und ruft noch lauter: »Kekse! Frische Kekse! Nicht teuer!« Ein gepflegt aussehender Herr mit Hut und Spazierstock kauft eine Tüte voll. Auch eine Frau mit einem langen Zopf bleibt kurz stehen und kauft eine Tüte Kekse. Madan geht zu dem Verkäufer und schaut auf die Kiste hinten auf dem Rad.
»Hau ab«, zischt der Verkäufer. »Mach, daß du wegkommst, du versaust mir das Geschäft!«
Ein glänzendes Auto stoppt, das Fenster wird aufgekurbelt. Mit aufgesetzter Freundlichkeit verkauft der Bäcker zwei volle Tüten, aber als das Auto wieder losfährt, schnauzt er Madan an, er solle verschwinden.
***
Eine Ziege rupft gierig Kartoffelschalen aus dem Müll. Auch eine Krähe pickt hungrig in dem säuerlich riechenden Haufen. Etwas weiter hocken vier Männer um einen umgedrehten Eimer und spielen Karten.
»Chai-eeeeeee, chai-eeeeeee!« ruft der Chai-wallah. Er schleudert seinen geflochtenen Korb voller Teegläser durch die Luft, ohne einen Tropfen zu verschütten.
Einer der Kartenspieler hebt die Hand. Der Chai-wallah reicht jedem der Männer ein Glas. In dem Korb stehen noch zwei volle Gläser. Madan, der sich zwischen Kartons versteckt hat, starrt sehnsüchtig auf den übriggebliebenen Milchtee. Er kann den fetten, süßen Geschmack schon fast auf der Zunge spüren. Der Chai-wallah ruft wieder, er will seine Ware loswerden, bevor sie kalt ist. Madan, der seit drei Tagen nichts gegessen und getrunken hat, schaut sehnsüchtig auf das Getränk. Ein Mann mit einem Korb voller Apfelsinen bleibt stehen. Der kleine Junge sieht zu, wie er den Tee mit einem Zug in seinem Magen verschwinden läßt. Im Korb steht das letzte Glas. Die Stimme des Chai-wallah schallt über die Straße. Madan schaut von links nach rechts, nirgends sieht er die Uniformen der Polizei. Er geht auf den Teeverkäufer zu.
Der Mann, zu beschäftigt, seine Ware anzupreisen, sieht das schmutzige Kind nicht, das verlangend zu ihm aufblickt. »Chai-eeeeeee, chai-eeeeeee!« ruft er dem Matratzenmacher zu, der seine Baumwollflocken auseinanderzupft, aber keine Lust auf Tee hat. »Chai-eeeeeee«, ertönt es wieder, diesmal versucht er den Zuckerrohrverkäufer zu interessieren, aber der hat sein eigenes Getränk dabei und will kein Geld für Tee ausgeben. »Chai-eeeeeee«, ruft er dem Reifenflicker zu und dem Maurer, der einen Sack Zement auf dem Kopf schleppt. »Chaieeeeeee …!«
»Kann der Kerl nicht endlich die Klappe halten«, knurrt einer der Kartenspieler. »Wie soll ich bei dem Geblöke nachdenken.«
»Chai-eeeeeee …!«
Mit einem Ruck dreht sich der Kartenspieler zu dem Chai-wallah um, der gerade den Mund wieder aufmachen will, um seinen Tee noch lauter anzupreisen, ehe er kalt wird. Er sieht, daß der Kartenspieler ihn wütend anschaut, nimmt das letzte Glas Tee und hält es in die Höhe. Der Mann schüttelt den Kopf.
Madan, der neben dem Teeverkäufer steht, schaut zu dem Glas hoch.
»Chai-eeeeeee …!«
»Gib den Tee dem Kind und halt den Mund!« Er wirft dem Verkäufer eine Münze zu und widmet sich wieder seinen Karten.
»Dem da?« fragt der Chai-wallah, der mühelos die Münze aus der Luft fängt und erstaunt auf den schmutzigen Knirps schaut, der neben ihm steht.
Ram Khan hört den Verkäufer schon nicht mehr. Er zieht eine Karte aus der Hand, wirft den König auf den Stoß und ruft triumphierend: »Mein Spiel!« Mit einem breitem Grinsen zieht er den Stoß Karten
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