Warten auf den Monsun
lauter und endgültig. Er erfüllte das Zimmer, das Haus, die Straße, ihr Herz. Dann war es still.
Er war gegangen und hatte ihre Träume, gemeinsam Kinder zu bekommen und glücklich zu werden, mit sich genommen.
Der Mali steht mit einem Blumenstrauß an der Tür. Er wagt sie nicht anzusehen. Er hat sie noch nie angesehen. Er weiß, daß sie trauert, daß sie versucht, nicht zu weinen. Es sind kleine, gelbe Blumen.
Der Garten ist voller Blumen, neben der Zufahrt hat er Blumenbeete angelegt und auch rund ums Haus, vor der Veranda und entlang der Terrassen. Aber diese kleinen gelben Blumen hat Charlotte noch nie gesehen. Sie nimmt den Strauß entgegen, und der Mali trippelt zurück zum Lloyds, der mitten auf dem Rasen vor sich hinbrummt. Sie geht ins Haus. Sie weiß, daß sie nie mehr von hier fortgehen wird.
***
Lieber Donald,
dieser Brief enthält eine sehr traurige Nachricht. Ich weiß gar nicht so recht, wie ich es Dir mitteilen soll, denn manchmal glaube ich es selber noch nicht, aber Peter ist gestorben. Er war schon eine Zeitlang krank. Das habe ich Dir nie geschrieben, weil ich dachte, es würde wieder besser werden. Die Ärzte wußten auch nicht, was es war. Sein Körper war gesund, sagten sie jedes Mal, es steckte in seinem Kopf. Es war der Krieg. Was im Krieg passiert ist, weiß ich nicht, nur, daß er etwas sehr Schlimmes erlebt haben muß. Vater merkt man nie an, daß er im Krieg gekämpft hat. Manchmal kommt mir der Gedanke, daß er überhaupt nicht an der Front gewesen ist, daß er es nur behauptet, aber dann weiß ich, daß das unsinnige Vermutungen sind, schließlich hat er nicht umsonst einen Orden bekommen. Ich bin jetzt in Rampur, ich wollte nicht in Delhi oder Bombay bleiben. Ich hielt es für richtig, Peter neben Mutter zu begraben. Allerdings frage ich mich nun manchmal, ob das wirklich gut war. Vater hat sich sogar ein bißchen darüber aufgeregt, aber das war mir egal. Peter war mein Mann. Daß wir keine Kinder bekommen haben, finde ich sehr schlimm. Ich fühle mich so einsam. Ich würde mich so freuen, wenn Du, bevor Du auf die Universität gehst, endlich nach Indien kämest. Auf dem Foto sehe ich, daß Du ein hübscher Mann geworden bist. Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß der Mann auf dem Bild mein Bruder ist, aber ich weiß, daß es so ist. Und im Herzen spüre ich es auch. Darum ist es gut, daß ich jetzt für eine Weile bei Vater bin. Versprichst Du mir, daß Du wirklich kommst? Ich kann die Schiffsreise für Dich bezahlen, denn ich habe genug Geld, weil ich unser Haus in Delhi verkauft habe. Mach’s gut, lieber Bruder, auf ein nun wirklich baldiges Wiedersehen,
Deine Schwester Charlotte
1952
Bombay
Madan und Samar liegen aneinandergeschmiegt unter ihrer Decke. Abwechselnd halten sie Wache. Madan ist eigentlich an der Reihe, aber er ist eingeschlafen. Eine fette braune Ratte trippelt heran und schnüffelt an seiner Hand. Die Ratte findet das Stück Brot, das er in der Faust hält, und knabbert daran. Madan öffnet die Augen, sieht die Ratte und schreit, aber aus seiner Kehle kommt nur ein heiseres Ächzen. Die Ratte huscht weg. Madan blickt ängstlich auf seinen Freund, der mit dem Kopf auf einem Stein liegt und schläft. Er setzt sich auf, weil er fürchtet, wieder wegzudösen. Der Platz hinter einer niedrigen Mauer, die zu einem leerstehenden Laden gehört, ist von der Straße aus unsichtbar. Madan ergreift den Stock, den sein neuer Freund heute nachmittag gefunden hat, und hält ihn fest umklammert. Er hat Angst, daß Ratten Blut riechen können. Er legt die Hand auf die Wunde am Hals, direkt über seiner Kette. Es tut noch weh, aber es blutet nicht mehr.
Er hört Stimmen. Madan legt sich schnell hin. Samar hat gesagt, daß niemand sie sehen darf. Er schlüpft unter die Decke. Mucksmäuschenstill liegt er neben seinem Freund, während die Stimmen und Schritte näher kommen. Geht vorbei, geht vorbei . Er drängt sich immer dichter an seinen Freund, stopft die Kette, die um seinen Hals hängt, tief unter den Verband und kneift die Augen fest zu. Die Männer bleiben stehen, lachen und unterhalten sich in einer Sprache, die Madan nicht kennt. Er hört, wie sie eine Zigarette anzünden, ein Streichholz fällt zu Boden, jemand spuckt, dann gehen sie weiter. Er spürt, daß auch Samar wach geworden ist, sein ganzer Körper ist plötzlich angespannt. Die Stimmen verschwinden, und es wird wieder still. Die Jungen wagen es nicht, sich zu bewegen. Mit
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