Warten auf den Monsun
die kleine Werkstatt steht, bewegt sich leicht im Takt des Fußpedals der Maschine mit. Er hört, wie jemand seinen Chef grüßt. Madan linst durch den Spalt und sieht zwei Füße in zerschlissenen Sandalen. Die Stimmen reden über das Kricket-Turnier, das morgen in Madras beginnt. Alles hat sich so schnell verändert. Es ist noch nicht lange her, da ist er in den Armen der weißen Frau aufgewacht, die ihn küßte. Er hatte fürchterliche Schmerzen, und sie hatte ihm zugelächelt und ihn gestreichelt. Sie hatte ihm die Kette, die nach Samars Meinung aus echtem Gold war, umgelegt und gerufen, daß er blute. Sie hatte nach Jasmin gerochen. Erst hatte er gedacht, daß er in einem Blumengarten aufwachte. Die Schmerzen hatten eigentlich nicht dazu gepaßt. Er erinnert sich an seine Schwester in ihrer blauen Jacke, und er begreift immer noch nicht, warum sie nicht bei ihm geblieben ist. Warum ist sie weggegangen? Er merkt, daß die Wunde unterm Kinn wieder zu bluten anfängt. Er drückt die Hand darauf und horcht auf die monotone Stimme seines Chefs. Langsam schläft er ein.
»He, Mukka!« Das Türchen wird aufgezogen, der Chef zieht ihn heraus. »Ich bezahl dich nicht fürs Schlafen!« Er drückt ihm einen Besen in die Hand. »Fegen!«
Madan, noch mitten in einem Traum, kneift die Augen wegen des grellen Sonnenlichts zu.
»Den ganzen Laden«, sagt Ram Khan, nimmt seinen Schemel und verschwindet um die Ecke.
»Ich habe ihn in Dienst genommen«, sagt Ram Khan mit einem Anflug von Stolz in der Stimme.
»Wen?« knurrt der Mann, der ihn gewarnt hatte, eine Ratte mit Zucker zu füttern, und der nicht vom Spiel abgelenkt werden will.
»Den kleinen Burschen.«
»Ach.«
»Er hat noch gute Augen und schmale Finger.«
»Mein Spiel.« Der Mann wirft seine Karten auf den Tisch und zieht den Stapel triumphierend zu sich.
Ram Khan blickt enttäuscht auf seine Karten.
»Das hast du von deinem Geschwafel«, sagt der Gewinner.
»Noch eine Runde?« fragt Ram.
Madan sitzt auf dem Rand des Bretterbodens. Ram Khan traut seinen Augen nicht. Der klitzekleine Verschlag zwischen dem Laden für Küchenutensilien und dem Kupferschmied ist nicht wiederzuerkennen. Nicht nur der Fußboden ist sauber, auch die Nähmaschine funkelt. Der kleine Bengel sieht ihn strahlend an.
»Endlich ein Gehilfe?« fragt der Kupferschmied.
»Nur, wenn er hart arbeitet, sonst fliegt er sofort wieder«, sagt Ram Khan und versucht, seine Überraschung nicht zu zeigen.
»Dann übernehme ich ihn«, sagt der Kupferschmied.
»Er gehört mir.« Ram Khan nimmt die Flasche, die Madan die ganzen Tage mit sich geschleppt hat. »Geh und füll sie«, sagt er.
Madan nimmt seine Flasche mit zu dem Eimer, der fast leer ist, und gießt den letzten Rest des trüben Wassers vorsichtig in die Flasche.
Als er zurückkommt, hat der Chef eine Holzplatte vor den kleinen Laden gehängt. Er hebt sie etwas an und sagt: »Jetzt mach schon, ich hab keine Lust, immer auf dich zu warten. Kletter rein mit deiner Flasche.«
Madan kriecht zwischen den Beinen des Chefs durch den Spalt zurück in den Laden. Mit einem Knall schließt Ram Khan die Klappe. In dem Verschlag ist es nun stockfinster. Madan hört, wie der Chef draußen zwei Vorhängeschlösser befestigt und ohne sich zu verabschieden verschwindet.
1995
Rampur
»Also eins verstehe ich wirklich nicht«, sagte die Frau von Nikhil Nair und biß in ihren Keks. »Warum hat sie nie wieder geheiratet? Sie sah doch noch gut aus, als sie Witwe wurde.«
»Ich finde sie immer noch hübsch«, sagte die Frau von Ajay Karapiet und goß sich einen Schuß Milch in den Tee.
»Ja, aber nicht mehr so hübsch wie damals, als sie jung war. Soll ich die Klimaanlage etwas höher drehen?«
»Nein, lieber etwas niedriger, mir ist kalt.«
Die Frau von Nikhil Nair stand auf und drehte an dem Knopf neben der Tür. »Früher, als sie jung war, war sie wirklich begehrenswert.«
»Also ich bin da anderer Meinung. Ich finde, sie kann sich immer noch sehen lassen.«
»Weil sie weiß ist.«
»Ich finde nicht alle weißen Frauen anziehend, aber Charlotte Bridgwater hat so was Durchscheinendes, und sie ist genauso kultiviert wie ihr Vater.« Die Frau von Ajay Karapiet trank einen Schluck Tee und goß dann noch etwas Milch hinzu.
»Tu nicht soviel Milch in deinen Tee. Das ist ungesund.«
»Warum denn nicht, man kriegt schöne Zähne davon, sieh dir nur Charlotte an.«
»Die trinkt ihren Tee mit Milch gekocht, wie die
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